Als ich mit 17 Jahren an einem Sonntagabend Ende Januar des Jahres 2002 vor dem Fernseher saß und SAT.1 die Verfilmung des Fantasy-Klassikers Die Nebel von Avalon von Marion Zimmer Bradley ausstrahlte, ahnte ich nicht, dass mich ein Film dermaßen in seinen Bann ziehen konnte, wie ich es bis dato seltenst erlebt hatte und rückwirkend auch danach selten so erleben durfte.
Völlig gefangen von Musik und Spannung tauchte ich ein in die Nebel aus Atmosphäre, Farben und einer packenden Geschichte und ließ mich von der Erzählerin Morgaine mitnehmen in eine weibliche Sicht der Artussage, eingebettet in eine fulminante frühmittelalterliche Kulisse.
Der Film wirkte auf meine Liebe zu Fantasy - einige Zeit zuvor durch Tolkiens Herr der Ringe und die The Legend of Zelda -Videospiel-Reihe von Nintendo geweckt -, (keltischer) Mythologie, Mittelalter-Sagen und ähnlicher Welten geradezu wie ein Katalysator und ich war bis ins frühe Erwachsenenalter hinein ein Fan nicht nur der Avalon-Buchreihe. Auch Jahre später mochte ich Film und Buch und konsumierte es in regelmäßigen Abständen. Doch was soll ich sagen, Menschen und Zeiten ändern sich! Meine Liebe zu Fantasy blieb, aber meine juvenile Begeisterungsfähigkeit nahm sukzessive ab und machte Platz für den mehr oder weniger professionellen Kritiker.
Neben Theaterkritiken wendete ich mich auf diesem Blog - endgültig zu Zeiten der Pandemie - nun vermehrt Filmrezensionen zu, meinte einige „Perlen“ zu finden, welche es wert sind, sie
vorzustellen, oder einfach Werken, von denen zumindest ich meine, dass sie kaum jemand kennt, durch meine Beschäftigung mit ihnen eine Art Bühne zu bieten.
Als ich an einem verregneten Septembertag meine Die Nebel von Avalon-DVD hervorkramte, um sie turnusmäßig zu schauen, hatte ich das Gefühl, diesen Film inzwischen endgültig einmal
zu oft gesehen zu haben und ich bemerkte, wie jemand, der ein Werk wirklich KENNT, jene blinden Flecken, die auf den ersten Blick nicht zu sehen sind, aber eine vermeintlich gute Arbeit auf lange
Sicht deren Daseinsberechtigung kosten können. Diesen blinden Flecken widme ich mich nun und werde am Ende entscheiden, ob diese über 20 Jahre alte Constantin-Film-Produktion unter der Regie Uli
Edels wie die Göttin der Geschichte überleben, oder für immer in den Nebeln unzähliger vergessener und belangloser TV-Produktionen verschwinden wird.
Mir geht es in erster Linie nicht darum einen „Buch vs. Film -Vergleich“ anzustellen, denn auch der Roman hat, gerade aus heutiger Sicht*, seine ganze eigenen blinden Flecken, wenn man nur genau danach sucht, sondern darum, abschließend festzustellen, ob Charme und Zauber des Films in der Lage sind, handwerkliche Defizite zu überdecken und ob sie aus möglichst neutraler Sicht auch tatsächlich derartig vorhanden sind, um einen Verriss zu legitimieren. Dennoch wird an der ein oder anderen Stelle auch auf den Roman Bezug genommen, sollte dieser den ein oder anderen blinden Fleck untermauern.
Der erste Eindruck
Untermalt von den ersten Takten Loreena McKennitt‘s „The Mystic's Dream“ haben die ersten Sekunden des Films es atmosphärisch schon in sich, als Erzählerin und Hauptfigur Morgaine (König Artus Halbschwester und von den mittelalterlich-christlichen Versionen der Artus -Sage als böse Zauberin Morgan le Fay bekannt) den Zuschauer in die Welt der Nebel von Avalon einführt. Schon die nächste Szene zeigt die übliche Action vieler Fantasy - und/oder Mittelalterfilme, ein Aspekt, den Zimmer Bradleys Erzählung der Artus-Sage aus weiblich/ feministischer Sicht vermeiden wollte. Kurz darauf werden die wichtigsten Frauenfiguren, die Schwestern Morgause (Joan Allen) und Igraine (Caroline Goodall), deren kleine Tochter Morgaine (Tamsin Egerton; die erwachsene Morgaine wird von Juianna Margulies verkörpert), und Vivienne (Anjelica Huston), die Herrin des Sees, die später mit dem Merlin (Michael Byrne) vorbeikommt, um ihre Schwester Igraine darüber zu informieren, dass sie den Führer gebären soll, der das britische Volk unter dem Banner Avalons vereinen und den alten Glauben ehren und schützen wird. Historisch gesehen war das Britannien des 6. Jahrhunderts nämlich nicht nur von sächsischen Invasoren bedroht, sondern stand auch an der Wende zu einer christlichen Gesellschaft hin. Hier werden dann gleich die beiden Grundkonflikte der Geschichte etabliert. Politische Ziele Herrschender, die im Konflikt mit dem persönlichen Glück Einzelner stehen. Die daraus entstehenden Probleme und Intrigen bestimmen weitestgehend die Handlung der Erzählung. Dass Frauen dabei zumeist die sind, die am meisten leiden, erwähnen die zahlreichen mittelalterlichen Versionen der Sage, die sich auf die Kämpfe der Männer und deren Verteidigung christlicher Ideale fokussieren, nämlich nicht. Herrschern beim Leiden zusehen ist dann auch eher ein Merkmal antiker Tragödien, in deren Tradition man den Plot der Nebel von Avalon durchaus sehen kann, wenn man so gnädig ist und etwaige Anwandlungen einer modernen Seifenoper außer Acht lässt. Dass derartige Stoffe aber dennoch viele Leser und Zuschauer begeistern, zeigt nicht zuletzt der Erfolg der Buchreihe Das Lied von Eis und Feuer von Georg R.R. Martin bzw. deren Serienverfilmung Game of Thrones.
So herrscht in Die Nebel von Avalon abseits der Kampfschauplätze auch sogleich ein immenses Maß an Drama und Pathos, musikalisch mit einem Score (Lee Holdridge) unterstrichen, der sich mitunter stark an New-Age-Musik orientiert.
Striche für mehr Magie und weniger Depression ...
Man muss dem Drehbuchautor (Gavin Scott) zwar anerkennen, dass er etwas vom Streichen versteht, auch wenn am Ende eine Geschichte herauskommt, die die der Buchvorlage auf das aus seiner Sicht Wesentliche reduziert, mit dem üblichen Schwund von Figuren und einzelnen Nebenhandlungselementen, um mit dieser dramaturgischen Raffung einerseits die Geschichte nicht allzu sehr zu verfremden, aber immer noch im Rahmen einer Inszenierung eines TV-Zweiteilers zeitlich erzählbar zu gestalten. Dies mag dem einen oder anderen Fan des Buches sauer aufstoßen, tut aber dem „Zauber Avalons“ keinen Abbruch, mehr noch, kommt ihm stellenweise sogar zugute. Auch die den meisten Menschen moralisch sicher seltsam anmutenden Beziehungen der Figuren untereinander und der Kontext in denen sie stattfinden, streicht die Drehbuchfassung nämlich subtil glatt und lässt sie in Kombination mit dem Spiel der Akteure wie selbstverständlich unter den Tisch fallen, kaschiert mit einer gehörigen Prise keltisch-esoterischer "New-Age-Magie".*
Die menschlichen Konflikte und das Leid der Hauptfigur Morgaine verleihen der Buchfassung der Geschichte eine durchgehend meiner Meinung nach eher depressive Grundstimmung, der Film dagegen stellt sämtliche Intrigen durch seine Raffung wesentlich knackiger und pointierter dar, weil er es eben schafft, durch das Mittel der Visualisierung eine ausgewogene Mischung aus Action, Effekten und Personenführung zu kreieren, die der Erzählstruktur eher dienen als schaden und sie spannend genug gestalten, um mit den überwiegend menschlich nachvollziehbar handelnden Figuren mitzufiebern.
... und das ein oder andere irritierende Moment
Jedoch führt gerade dieser Strich am Ende aber auch dazu, dass Morgause quasi per Deus-ex-Machina-Methode zur platt- bösen Antagonistin erklärt wird, deren menschlich nachvollziehbares Handeln zugunsten eines leicht vorgezogenen Action-Showdowns unter den weiblichen Hauptfiguren geopfert wird.
Und auch Morgaines weibliche Stärke wird fehlgedeutet, indem sie sich nach einem Angriff der Sachsen mitten im Wald wie eine Action-Heldin mit dem Schwert selbst verteidigt, was sie auch tut, als sie am Ende das Schlachtfeld des eigentlichen Showdowns zwischen Artus und Mordred (Hans Metheson) betritt. Derartige Interpretationen sind weit über das Ziel hinausgeschossen und geben dem Ganzen eine unrealistische und beinahe schon irritierend groteske Wendung. (Eine ähnliche Idee wurde bei Herr der Ringe bspw. am Ende wieder fallen gelassen und Regisseur Peter Jackson entschied sich, Arwen in Die zwei Türme nicht in die Schlacht von Helms Klamm reiten zu lassen). Wer keinerlei Kampfausbildung hat, kann nicht einfach visuell überzeugend kämpfen, egal welches Geschlechtes er oder sie ist.
Des Weiteren haben sich durchaus auch logische Fehler in die Filmhandlung eingeschlichen, die einem als Buch-Kenner sauer aufstoßen müssten. Da wäre zum einen die Tatsache, dass Gawain Mordred kennen muss, wenn dieser von Morgause, seiner Mutter, großgezogen wurde, also ihm zumindest nicht das erste Mal begegnet sein kann, als Mordred Artus (Edward Atterton) konfrontiert. Auch der Grund für Mordreds Zeugung wird aus meiner Sicht nicht genügend erklärt. Außerdem ist es wenig nachvollziehbar, dass Morgaine und Gwenhwyfar (Samantha Mathis) sich am Ende so bereitwillig und ohne Anlass verzeihen.
Insgesamt kann der Film die Komplexität der Handlungen der Figuren nicht ausreichend wiedergeben, sondern opfert sie zugunsten von Action und Pathos, was dem Film bisweilen einige oberflächlich seichte Momente verpasst, die in kritischen Momenten auch die beste magische Atmosphäre nicht „wegzaubern“ kann.
Obwohl die gelungene Ausstattung eine der größten Stärken der Romanverfilmung ist, sollten die sichtbar nach Mitteleuropa gehörenden Landschaften der Drehorte nicht nur jeden stören, der tatsächlich einmal in der Gegend Englands, in der sie Artussage spielt, herumgelaufen ist, sondern auch jeden, vor dessen Auge sich beim Lesen der Landschaftsbeschreibungen des Buches ebendiese sichtbar aufgetan hat.
Nach über 20 Jahren und den vielem Malen, die ich diesen Film geschaut habe, wirkt der Zauber Avalons trotz seiner blinden Flecken irgendwie noch immer. Auch wenn die Romanverfilmung durchaus ihre Schwächen hat, ist sie dennoch nicht nur eine auf ihre Art funktionierende Interpretation des Buches, sondern fügt diesem auch neue und andere Aspekte hinzu und kaschiert auch dessen blinde Flecken wie seine latent depressive und an manchen Stellen merkwürdige Stimmung* beinahe wie durch Zauberhand und schafft es so, denjenigen zu fesseln und zu unterhalten, der bereit ist, sich bewusst oder unbewusst von den Nebeln umfangen zu lassen, sei es nur für einen Abend oder über Jahre hinweg.
*Mir ist bekannt, dass nach publik werden der Missbrauchsvorwürfe, die die Tochter der Autorin mittlerweile öffentlich gemacht hat, die Rezeption des Stoffes für viele Rezipienten davon überlagert wurde und vielen davon seit Kenntnis dieses Sachverhaltes auch die Beziehungen der Figuren untereinander sauer aufstoßen. Ich jedoch bin prinzipiell jemand, der Werk und Autor stets trennt, und diesen Inhalt auch vor dem Hintergrund sehen kann, dass „Die Nebel von Avalon“ ein erwachsener Fantasy-Stoff ist, der sich durchaus aus Elementen der Mythologie und des antiken Dramas speist, in dem (christliche) Moralität und das echte Leben nicht Vorrang vor Unterhaltung, Katharsis und jedwedem künstlerischen „Was-wäre-wenn“ haben darf.
Weitere Informationen:
Titel: Die Nebel von Avalon (Original: The Mists of Avalon )
Regie: Uli Edel
Buch: Gavin Scott
Musik: Lee Holdridge
Produktionsjahr : 2001
Produktionsland: USA/Deutschland/Tschechien
Genre: Fantasy, Drama
FSK: 12
Dauer : 183 Minuten
Hier zu beziehen
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