Imaginäres Double-Feature "Deutschsein"

Filmkritik "Der schwarze nazi" & "plötzlich türke"

Zwei Filme, ein Thema, viele Herangehensweisen


Das Double-Feature - ein unter Cineasten geläufiger Filmbegriff, der sich in der Regel darauf bezieht, dass zwei Filme, die dasselbe Thema behandeln, zusammen bzw. nacheinander in einer Doppelvorführung gezeigt werden. Hier wird dem Leser eine Doppelrezension serviert, nach der er entscheiden kann, ob er sich einen oder gleich beide Filme zu Gemüte führt. Denn angenehm sind sie beide nicht, zumindest was ihr Thema betrifft.

 

Dem Spiel mit Klischees und Karikaturen bedienen sich beide Komödien irgendwie, doch während der eine noch als harmlose öffentlich-rechtliche Unterhaltung durchgeht, ist der eine schon eine Film-Groteske, die von Kommentaren bezüglich „genialer Satire“ bis hin zur „Nichtkunst“ das Publikum spaltet. Was beide Werke aber gemeinsam haben, ist die wohl wichtigste Frage, die sie beide stellen: Was ist Deutsch/Deutschsein?


Der schwarze Nazi - „Hygiene, Goethe und Kartoffeln“


Als Independent-Produktion mit begrenztem Budget sieht man „Der schwarze Nazi“ (2016; Regie: Tilmann und Karl-Friedrich König) seine niedrigen Produktionskosten natürlich an, was dem Film einen vielleicht ungewollten aber nicht unbedingt unpassenden Trash-Faktor verleiht, und die ihn seinen grotesken Charakter bereits in der ersten Szene, einer vorgeschalteten fiktiven Werbung für den fiktiven „Volksbohrer“, in der ein Bilderbuch-Proll mit einem Aufsatz in schwarz-rot-Gold sein Auto putzt bevor in einem Baumarkt die Nationalhymne erklingt und irgendwo in Leipzig der Kongolese Sikumoya Mumandi (Aloysius Itoka) auf dem Weg zu seinem Einbürgerungskurs im Autoradio zwischen Schlagerhits von dem möglichen Verbot der fiktiven rechten Partei NPO (Nationale Patrioten Ost) hört, bevor er deren Kundgebung* einen kurzen Besuch aus Neugier abstattet. Während des Kurses ist er dann in Gedanken bei der von ihm so verehrten deutschen Lyrik. Zu Hause bei seiner Freundin Moni (Judith Jacobs) mokiert Siku, der als Vorzeige-Afrikaner für ein offenes Sachsen werben und zu Gitarre singen soll, sich darüber, dass er Lehrer und kein Tanzaffe sei und sich wie eine Attraktion im Zoo fühle. Siku liest mit großem Interesse das von Moni konfiszierte Parteiprogramm der NPO.

Nach einem Zwischenfall, bei dem er von Neonazis verprügelt wird, landet er im Krankenhaus und dem Zuschauer begegnet die wohl surrealste Szene des Films: Sikus Koma-Traum, während dem das EKG plötzlich anstatt einer Kurve den Bundesadler zeigt.

Immerhin ist Sikus deutscher Pass mittlerweile fertig und wartet auf dem Nachtisch seines Krankenbettes auf ihn. Gut für ihn, denn offensichtlich ist er jetzt als Deutscher aufgewacht, schmeißt zu Hause erstmal das ganze Afrika-Zeug weg, sagt einigen die Meinung und hört vor allem mit anderem Selbstbild und neugewonnenem Selbstbewusstsein die Nazi-Lieder bei der NPO-Kundgebung mit anderen Ohren und traut sich zu guter Letzt sogar ans Wut-Mikro- und das mit Erfolg, denn mit seinen Ansichten() gewinnt er nicht nur die Zuhörer, sondern lässt in Partei-Chef Dirk Eberlein (Bernd-Michael Baier) sogar eine Idee aufkeimen: Siku als Integrationsbeauftragter die Partei repräsentieren und so deren Image aufwerten, um dem drohenden Verbot zu entkommen. Seine teils wörtlich genommene und in Teilen erschreckend radikale Auslegung der NPO-Statuten sorgt selbst der Partei und deren Anhängern für teils gemischte Reaktionen und Erstaunen. Trotz allem Ehrgeiz und Integrationswille wird Siku aber am Ende doch wieder abgelehnt, was zu einer weiteren Eskalation und einem überraschenden Ende führt.

Fazit

Die größtenteils über Crowdfunding finanzierte Regiearbeit der Gebrüder König wagt es, eine beinahe absurde These aufzustellen und zu verfilmen: Kann ein Schwarzer so sehr rechts sein, dass er sogar Neonazis rechts überholen würde und vor allem - wie könnte das konkret aussehen. In erster Linie wartet der Film mit einem regelrechten Sammelsurium skurriler Figuren-Typen auf, unter denen Siku der einzig normale ist. (Ich spreche bei dieserart Kunstgriff übrigens gerne vom „Harry-Potter-Effekt.“)

Seien es nun die peinlichen deutschen Schwiegereltern Sikus (Gerd Ahlemann, Martina Krompholz), der einfältige Sohn des Parteivorsitzenden, Steve (Chris Weber), oder die Nazi-Truppe an sich, bestehend aus Ansgar, dem „Mittelalter-Hippie“, der wandelnde Bomberjacke namens „Steiner“ oder anderen kloppenden Glatzen, nebst einfältiger Freundin (Melanie Müller*).

Sie allesamt sind so sehr Klischee, dass es schon auf eine grotesk-faszinierende Weise rührend anmutet, mit welch feierlichem Ernst Siku diese Gurkentruppe anführt, mit dem Ziel, aus Deutschland wieder einen Hort der Kultur zu machen.

Siku geht dabei derart ehrgeizig und stringent vor, dass seine wörtliche und bis zum Ende gedachte Auslegung der Partei-Ziele und seine skurrilen Aktionen, mit denen er Deutschland von allem „Undeutschen“ befreien will und mit denen er die Abtrünnigen mit deutscher Kultur und Erziehungsmaßnahmen wieder auf den „rechten“ Weg bringen will, mitunter an die Grenzen der Logik und des Rational Ertragbaren stoßen, diese nicht gar überschreiten und so einen derartigen Spiegel vorhalten, dass selbst den Neonazis immer mehr Zweifel über die Konformität von Sikus Ideen mit der Ideologie der Partei kommen!

Ein anderer wichtiger Punkt ist der, dass der Zuschauer die Liebe zur deutschen Kultur durch Sikus Blick gänzlich anders erlebt als durch das Feindbild Nazi und spürt von Anfang an, dass diese Liebe aufrichtig ist, es geht Siku wirklich um Integration, zuerst bei sich selbst und dann später, als „Nazi“, in missionarischem Eifer, bei den anderen. Ihm liegt Deutschland am Herzen, als dessen Teil er sich sieht und das meint er ohne Beigeschmack von Macht oder Ähnlichem, denn ihm geht es auch um Zugehörigkeit und Akzeptanz. Obwohl Siku mit der Zeit immer radikaler wird, strahlt er als Deutscher und dann später auch als Nazi immer mehr Selbstbewusstsein aus, so als wäre er ein Stigma, einen Makel losgeworden.

Außerdem stößt der Versuch Sikus, bei den Nazis eine Heimat zu finden, eine regelrechte Grundsatzdiskussion an:

Was ist Deutsch und was braucht es gar zum Nazi? Was macht einen Menschen zum Anhänger einer Ideologie?

Siku und die Nazis im Film könnten gar nicht unterschiedlicher sein, und das nicht nur in puncto Herkunft und Hautfarbe.

Der gebildete und kultur-affine Lehrer aus dem Kongo mit dem deutschen Herzen als Gegenentwurf zu den dummen Nazi-Prolls aus den neuen Bundesländern. Zwei Menschentypen, wie sie auf den ersten Blick gar nicht unterschiedlicher sein könnten. Doch Siku sucht und findet Verbindungspunkte. Steves Gitarre zum Beispiel, mit der der einfältige Junge aber laut Siku in der Lage ist, „reine deutsche Musik“ zu komponieren und damit die „reine deutsche Kultur“ verstanden hat.

Das ist dann am Ende derselbe Steve, der mit Siku bricht, weil er aufgrund seiner Hautfarbe niemals ein Deutscher sein wird, völlig egal wie viele Bluttransfusionen einer „sächsisch Frau“ er noch intus hätte.

 

„Hier bin ich Mensch, hier darf ich sein“

 

Alles hat immer mindestens zwei Seiten oder manchmal sogar noch mehr als das. Wer sich auf eine derart groteske Umkehrung gesellschaftlicher Stereotypen einlässt, der entdeckt mit Der schwarze Nazi eine Spielwiese eines Films, wie er experimenteller und provozierend boshafter nicht sein könnte. Natürlich kann man sagen, der Film sei keine Kunst, er wimmele nur so von Klischees und Karikaturen (immerhin haben der amerikanische Comedian Dave Chapelle oder auch das Format „Adölfchen und Bdölfchen“ aus der Bülent Ceylan-Show diese Idee eines Nazis, der das eigene Feindbild verkörpert, bereits aufgegriffen, jedoch mit der expliziten Intention den Zuschauer mittels der bloß-stellenden Darstellung der Figuren zum Lachen zu bringen) er sei gar „moralisch erpresserisch“ (welt), von nicht lustig ganz zu schweigen. Aber einen schwarzen Nazi zu inszenieren, der sein Nazi-Sein nicht nur derart ernst nimmt und dessen Perspektive der Zuschauer ja dann nur einnehmen kann - das muss man - und in dem Fall die Gebrüder König - sich erstmal trauen. Denn Siku ist kein Idiot oder gar eine Witzfigur; er ist ein ernst zu nehmender Charakter, dessen Irrweg, gar eine gewisse Tragik einhergeht, man nicht einfach weglachen kann oder gar sollte! Und das könnte den Film im Auge des ein oder anderen pc-Verfechters geradezu unerträglich machen. Ist doch die deutsche Moral ein regelrechtes Minenfeld politischer Korrektheit, hat ein Nazi also entweder ein schurkischer Unhold oder eine Witzfigur zu sein, und kein Mensch mit Motivation, und erst recht kein schwarzer Mensch.

Mit dem Kongolesen Siku, haben wir einen Migrantentypus, dem es in seinem Überintegrationseifer nicht reicht, „nur“ ein Deutscher zu sein, nein, er will auch noch in die Reihen derer, die bestimmen wollen, wer und was Deutsch ist. Nein, mehr noch: Er will diese Gatekeeper sogar anführen und ihre Regeln neu aufstellen. Das ist eine Sicht, auf die man sich einlassen muss, ein Gedankenexperiment, das jedwede political correctness ad absurdum führt. Er macht sie zur Groteske.

Und ihren Verfechtern einen Spiegel vorhält, der den eigenen Rassisten in ihnen triggern soll. Den jeder Zuschauer muss hier für mich entscheiden, worin eigentlich das Problem liegt, denn es sind nicht mehr die Deutschen, die die Regeln machen. Weder als Filmnazis noch als Zuschauer. Denn es ist einzig und allein Siku, der hier die Regeln macht. Der sich aus der Opfer sofort in die Täterrolle hineinkatapultiert, der sich selbstbewusst „enttokenisiert“ und gekonnt mit Sympathie und Antipathie spielt. Der in gewisser Weise sogar Brücken baut, denn seine Definition von Deutschsein ist eine ideologische, eine, die durch den Willen und die Einstellung bestimmt wird, und nicht durch die Abstammung: „Deutsche Kultur, deutsches Handeln und Charakter“ sind für Siku die Eckpfeiler des Deutschseins, oder vereinfacht ausgedrückt: „Hygiene, Goethe und Kartoffeln“.

 

Der Elefant im Raum

 

Bin ich ein Rassist, wenn ich einen schwarzen Nazi ablehne? Diese Frage sollte sich nicht nur Moni bisweilen stellen, als sie ihre Folie naiver Afrika-Romantik auf Siku projiziert.

Warum ist ein schwarzer Nazi ein Problem? Weil er schwarz ist oder weil er ein Nazi ist oder weil diese Kombination nicht sein kann, nicht sein darf?

Warum bevormundet der Rassist in mir Siku und nimmt ihm - aufgrund seiner Hautfarbe - das Recht zu entscheiden, was er sein will? Wenn ich ihm nicht einmal das Nazi-Sein gönne, was gönne ich ihm dann überhaupt?

Die Streitfrage, ob es einen schwarzen Nazi geben darf, kann oder soll, ist hier obsolet, denn das Narrativ, dass es ihn gibt, das behauptet der Film einfach mal so. Jetzt ist es am Zuschauer zu entscheiden, wie er damit umgeht und welche Fragen er am Ende sich selbst stellen muss. Egal, wie unbequem die Erkenntnis am Ende sein könnte.


Trivia

*Melanie Müller, ehemalige Dschungelcamp -Gewinnerin und Partyschlager-Sängerin, katapultierte sich 2022 mit einer angeblichen Nähe zu rechtem Gedankengut vorerst ins mediale Aus

*Im Vorfeld der Filmpremiere von Der schwarze Nazi wurde mit dem Hauptdarsteller des Films eine Performance vor uneingeweihten Pegida-Anhängern gemacht, die diese davon überzeugen sollte, Pegida sei "undeutsch"



Plötzlich türke - „Das Leben schreibt nicht die besten Geschichten, es nötigt uns es selbst zu tun.“


In eine etwas andere Kerbe schlägt die für den NDR produzierte „Nordlicher“-Komödie „Plötzlich Türke“ (2016; Regie: Isabel Braak). Auf einer „ziemlich wahren“ Begebenheit beruhend erzählt der Film die Odyssee des jungen Musikers Cem genannt Jim (Oliver Konietzny), der durch einen Behördenfehler zum Türken erklärt wird und spielt auf eine ganze andere Art und Weise mit dem Problem und der Motivation Deutsch sein zu wollen, wenn andere es einem nicht „gönnen“, aus was für Gründen auch immer. Inspiration für diese Komödie über Behördenirrsinn, Familie und Identität waren die persönlichen Erlebnisse von Cem Fertig, der auch die literarische Vorlage des Filmdrehbuchs lieferte. Der Deutschtürke aus Bremen kämpfte 18 Jahre lang nach seiner „Ausbürgerung“ aufgrund eines Computerfehlers darum, die deutsche Staatsbürgerschaft wiederzuerlangen.

Inhalt

Gleich die erste Szene hat es in sich. Zu omanischer Musik werden Soldaten beim Militär von ihrem Ausbilder hart herangenommen, es herrscht ein rauer Ton („Wer mir nicht gehorcht, den ficke ich wie eine ausgehöhlte Zucchini“). Mittendrin der Soldat Lorenz- doch der versteht ein Wort. Per Offstimme sagt dieser kurzerhand die alles erklärende Rückblende an, die Cem Mustafa Lorenz einige Wochen zuvor in seiner Junggesellenbude zeigt. Er ist gerade auf dem Weg in ein neues Leben und macht Pläne für die Zukunft: Cem wird bald Vater, seine Band steht kurz vor dem Durchbruch und er und seine Freundin sind mitten in den Umzugsvorbereitungen für den Bezug der ersten gemeinsamen Wohnung. Da einzige, was gemeinsamen Glück jetzt noch im Wege steht, ist die erfolgreiche Ummeldung. Doch es gibt Probleme mit Cems Ausweis. Die Sachbearbeiterin unterstellt ihm, sich den deutschen Ausweis widerrechtlich angeeignet zu haben. Der Rest des Films fühlt sich dann nicht nur für den völlig vor den Kopf gestoßenen Cem an wie ein schlechter Witz. Parallel mit Cems völlig verzweifeltem Kampf seine deutsche Staatsbürgerschaft wiederzuerlangen, geht sein Leben Stück für Stück den Bach runter, bis Cem schließlich keine andere Möglichkeit mehr sieht, als seinen Vater, den er nie kennengelernt hat, zu kontaktieren. Die Begegnung ist dann natürlich nicht ohne Konflikt, führt aber letztendlich zur Aussprache, die nicht nur Vater und Sohn einander annähert, sondern auch zwei Familien einander näher bringt und versöhnt als sie - alle gemeinsam - das jüngste Familienmitglied, das Baby Tilda-Eileen (≠Aylin!) willkommen heißen. Doch noch sind nicht alle Probleme gelöst. Cem muss, um zumindest die türkische Staatsbürgerschaft zu erlangen, erst einen Wehrdienst ableisten - und die Rückblende ist vorbei. Am Ende bekommt Cem beide Staatsbürgerschaften und feiert mit allen Beteiligten ein versöhnendes Multi-Kulti-Straßenfest, wie es wohl nur  öffentlich-rechtlichen Familienunterhaltung zusteht.

Fazit

Obwohl Plötzlich Türke eine Komödie ist, die sich gern der typischen „Deutscher Film“-Strukturen bedient und viele seicht-peinliche Elemente hat, bleibt einem doch über weite Strecken das Lachen im Hals stecken, wenn man als Zuschauer Cems Odyssee kontinuierlich miterlebt und sich irgendwann selbst vorkommt wie im falschen Film. Da steht ein verzweifeltes Individuum einem übermächtigen Staat und dessen Handlangern gegenüber, die allesamt Gaslighting par excellence zu betreiben scheinen. Da kann dann der Zuschauer mit Migrationshintergrund gern betroffen nicken, während der ohne beschämt nach unten schaut, zwecks dieses Sammelsurium übler Vorurteile. Die Figuren des Films sind zwar in ihrem Ansatz keine Karikaturen, dennoch sind sie flach und im Wesentlichen dafür da, Cems Umfeld zu schaffen. Das reicht von einer dümmlich -trutschigen Freundin Jule (Nikola Kastner) über einen persischen Chef, einer unkonventionellen Hippie-Mutter (Nina Petri), die Cems Vater Mustafa (Vedat Erincin) damals verfallen ist, weil der sich mittels Sombrero für einen Spanier ausgegeben hat bis hin zu bösartig-gleichgültigen Sachbearbeitern („Wir sind nicht zuständig“) und falschen Freunden. Sie alle (außer seinen Eltern) suggerieren Cem, dass er am Ende irgendwo dann doch das Problem ist und dass er nur „sein Leben auf die Reihe kriegen müsse“, um aus seiner Situation heraus zu kommen. So etwas ist immer nur bedingt lustig und setzt einen nicht geringen Hang zur Schadenfreude voraus, was ja dem deutschen Humor Allgemeinhin nicht selten ohnehin nachgesagt wird. Abgesehen davon ist Cems Odyssee aber auch eine ungewollte Reise zu sich selbst und seiner Identität, die ihm Fragen stellt und Erkenntnisse liefert.

Cem fühlt sich unverstanden und das nicht nur von den Behörden und deren Amtsirrsinn. Er wird das erste Mal seinem Leben durch Umstände gezwungen, sich mit dem Türken in sich auseinander zu setzten. Wie viel in ihm steckt und wie viel andere in ihm sehen wollen. Auf die Frage „Warum will er nicht Türke sein“ hat er dann auch eine eher pragmatische Antwort (denn eigentlich ist es um egal, aber „die bauen Mist und ich muss das ausbaden“) und auch das Kennenlernen seines Vaters („türkische Version von George Clooney mit Sombrero“) wäre auch sonst eine eher ernüchternde Erfahrung für Cem gewesen. Nichts umsonst hat er es bisher sicher wohl vermieden, sich auf die Suche nach seinen Wurzeln zu begeben. Trotz alledem zaubert am Ende ein Deus ex machina-Effekt wieder eine heile Welt, obwohl solche Fragen nicht einfach unbeantwortet im Raum stehen bleiben sollten, denn es ist schlichtweg erschütternd, dass so etwas überhaupt passieren kann und ja auch passiert ist. Für den realen Cem muss diese Erfahrung weit weniger lustig und weitaus dramatischer gewesen sein, als es für einen harmlosen Unterhaltungsfilm getaugt hätte, denn sie zeigt Abgründe, menschliche wie behördliche, erschüttert und lässt zweifeln. An sich, an der Welt und an allem.

Sie zeigt schonungslos auf, wie fragil und willkürlich und vor allem wie absurd solche menschengemachten Zugehörigkeiten sind und sein können. Wie schnell so ein System zusammenstürzen kann. Wie sinnlos Bürokratie ist. Denn wer macht die Regeln? Insbesondere darüber, wer oder was der Einzelne sein darf, auch wenn es nur so etwas "Profanes" wie ein Deutscher ist.


Gemeinsames Fazit - Zwei Filme, eine Botschaft

Einen Blick auf Rassismus und Fremdenfeindlichkeit ohne die üblichen gewohnten Moralkeulen und die einseitige Täter/Opfer-Brille deutscher bildungsbürgerlicher Prägung, dafür aber mit surrealen Momenten, gewährt die Lowbudget-Groteske „Der schwarze Nazi“, während der öffentliche-rechtliche Fernsehfilm „Plötzlich Türke“ ein ernstes und beunruhigendes, fast alptraumhaftes Thema in einen heiter-oberflächlichen Familienfilm packt. Eine Botschaft haben beide Filme und sie greifen Themen auf, die sich um Identität und die Definition von Rollen drehen und um die willkürlichen und relativen Regeln, die deren Fundament bilden. Ein Fundament, das wiederum von diesen Regeln gestützt wird und die durch die beiden Filme, jeden auf seine Art, letztendlich ab absurdum geführt werden. Der (deutsche) Zuschauer, am Ende konfrontiert mit einem schwarzen Nazi und den eigenen hässlichen Vorurteilen, ist Zeuge davon, wie sich der eine selbst zum Nazi erklärt, während es bei dem anderen anscheinend nicht einmal mehr zum Deutschen reicht. Welche Erkenntnis dieser Zuschauer dann daraus zieht, bleibt wie immer ihm selbst überlassen und ob er danach das Problem noch immer dort sieht, wo er es bisher wohl vermutet hat und auch, welche Art der Botschaft er für sich daraus mitnehmen will, vor allem aber, dass er bisher anscheinend nicht in der Lage war, zumindest die blinden Flecken einer Ideologie und deren Gegenideologie hinreichend erklären zu können.


Symbolbild©pixabay/camera-man
Symbolbild©pixabay/camera-man

Weitere Informationen: 

Titel:  Der schwarze Nazi

Regie: Tilmann und Karl-Friedrich König

Buch: Tilmann und Karl-Friedrich König

Musik: Benjamin Küster, Peter Andersohn, Sebastian Starke

Produktionsjahr : 2016

Produktionsland: Deutschland

Genre: Komödie /Groteske

FSK: 12

Dauer : 90 Minuten 

Hier zu beziehen

 

Symbolbild©pixabay/RoonzNL
Symbolbild©pixabay/RoonzNL

Weitere Informationen: 

Titel:   Plötzlich Türke

Regie: Isabel Braak

Buch: Burkhardt Wunderlich 

Musik: German Wahnsinn

Produktionsjahr : 2016

Produktionsland: Deutschland

Genre: Komödie

FSK: tba.

Dauer : 82 Minuten 

Hier zu beziehen


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