Kritik "Weihnachtsfeier" COMPAGNIA BUFFO im Schlachthof Kassel

ZWISCHEN KASPERTHEATEr und kabarett


Symbolbild  Maske Commedia dell' Arte            ©pixabay/croisy
Symbolbild Maske Commedia dell' Arte ©pixabay/croisy

Theater, das dem „kindlichen“ Vergnügen entspricht.

Das war vor über 30 Jahren der Anspruch von Willi Lieverscheidt und anderen Theaterschaffenden als man sich 1985 zusammentat, um die COMPAGNIA BUFFO zu gründen, eine Truppe, die es sich (insbesondere in ihrer Anfangszeit) zur Aufgabe gemacht hatte, Spektakel zu erschaffen, die, der Tradition der Fahrenden, der komödiantischen Spielleute und der Commedia dell’ Arte folgend, die Lust am Spiel und am Vergnügen des Theaters lebendig zu halten und mitten im Alltag einen Ort des Spiels und der Phantasie zu erschaffen. Mit Mitteln des Jahrmarkttheaters, das mit seiner Bretterbühne stets unter freiem Himmel und auf offener Straße zu den „kleinen Leuten“ abseits der Höfe kam und ihnen Geschichten brachte, die Stoffe behandelten, die über Jahrhunderte den Menschen und sein existenzielles Dasein betreffen, hat auch die Compagnia Buffo sich den burlesken, derben aber auch poetischen Geschichten verschrieben, die sie in altertümliche oder gar fabelartige Verkleidungen hüllen und die trotz ihrer Lust an Grenzverschiebung der Wirklichkeit, schwarzem Humor, Fremdartigkeit, Persiflage und Skurrilität immer nach dem wahren Kern der Wahrheit suchen.

Auch im Jahr 2019 in ihrer aktuellen Produktion „Weihnachtsfeier“ steckt der Geist des bizarren und aberwitzigen Jahrmarktspektakels. Für ihre Aufführung im Kasseler Schlachthof fanden die Szenen angepasst an Lokalität und Jahreszeit nicht im Zelt statt sondern wurden an die Gegebenheiten des Spielortes angepasst.


Die Inszenierung


Eine kleine Bühne befindet sich mise-en-scene-artig auf der ohnehin nicht gerade großen Bühne des Kasseler Schlachthofes, nach hinten rechts geht es durch einen knallroten Samtvorhang , links davor steht ein Regal, rechts eine Art Adventskalender mit einem gemalten Baum darauf, an dem ein Schild mit der Aufschrift „Ihr Kinderlein kommet“ klebt. Links der Bühne befindet sich ebenfalls eine Kiste, auf der ein Tablett mit Weingläsern steht. Während eine offensichtlich bereits kostümierte Dame (Kascha B.) im gut gefüllten Zuschauerraum hin und herläuft, betritt ein älterer Schauspieler (Willie Lieverscheidt) gebückt die Bühne und verschwindet hinter dem roten Vorhang, die Dame tut es ihm gleich. Plötzlich ertönt allseits bekannter Weihnachtspop und es wird dunkel. Sofort ertönt eine Art Baby-Weinen von hinter dem Vorhang. Die Szene ist sofort klar: Maria und das Jesus-Kind. Eine schwarz-vermummte Gestalt hält eine Babypuppe, die den Eindruck macht als würde sie ganz von allein schweben. Die Zuschauer lachen auf der Stelle ob dieses Effektes: Während er an eine Fliege erinnernde „Summ“-Geräusche von sich gibt, geht der schwarze Schatten hinein ins Publikum und macht ein paar zotige Andeutungen. Als er zur Tür hinten, die in den Bistro-Teil vor der Halle führt, rennt, folgt ihm die „Maria“ schnellen Schrittes. Die beiden Darsteller bleiben längere Zeit weg und das Publikum fängt an, zu reden und zu lachen, es ertönen vereinzelte Ausrufe wie „ist ja spannend“ und „Jesus-Kind“, als die Schauspielerin, die eben noch als Maria verkleidet war, jetzt in spießigem Karo-Plissee-Rock aus der Tür tritt und die Vorhänge zuzieht.

„Liebe Mitbewohner und Gäste, herzlich Willkommen in unserem Pflegeheim“, begrüßt die Dame nun alle Anwesenden und stellt sich gerade als Frau Renate Pieper vor, als von hinten aus dem Bistro ein Weihnachtsmann mit einer Plätzchendose erscheint und den Zuschauern die Order erteilt, das mitgebrachte Gebäck untereinander zu verteilen. Währenddessen holen Frau Pieper und der Weihnachtsmann seltsam anmutende selbstgebastelte Instrumente hervor, von denen eines eine leuchtende „Waffeltrommel“ (?) sein soll, und andere aussehen als bestünden sie aus Klorollen. Dann geht plötzlich alles ganz schnell. Während der eine singt, wirft der andere einige der „Instrumente“ ins Publikum und verteilt Butterbrottüten, die sofort von einigen aufgepustet werden. Vereinzelt hört man es knallen, während der Weihnachtsmann seine „Besengitarre“ erklingen lässt. Eigentlich hätten alle die aufgeblasenen Tüten zusammen knallen lassen sollen. Nach einer Schlacht mit zusammengeknülltem Papier dann viel zu spät ein letzter Knall, bevor der Weihnachtsmann, der inzwischen einen Instrumentenwechsel zu den Gläsern vollzogen hat, gute Unterhaltung wünscht, unterstützt von Frau Pieper, die durch Aufsetzen eines Geweihs beweist, dass sie den Elchtest bestanden hat und vorbei ist der chaotische „Prolog“.

Dreh- und Angelpunkt der Inszenierung ist der Adventskalender, den angeblich die Anstaltsinsassen gebastelt haben. Der Witz bei der Sache ist, dass Frau Pieper, eine Ehrenamtliche, die sich um Herrn Bachmann, einen bereits reichlich tüddeligen knorrigen Insassen kümmert, und sich bereits erklärt hat, mit diesem gemeinsam die diesjährige Weihnachtsfeier auszurichten, das Kulturzentrum Schlachthof zum Altenheim und Pflegeheim ernannt hat, was sämtliche Zuschauer der Aufführung im Rahmen selbiger zu ebendiesen Insassen macht. Die erhalten dann als erstes Geschenk ein Kaspertheater, dessen skurrile Grobheiten sie vor Lachen regelrecht brüllen lassen. Gretel (Frau Pieper) tritt auf mit zur Spiegeleipfanne umfunktioniertem Tennisschläger, und bekommt von einem ziemlich komischen Kasper (Herr Bachmann) ein Retortenbaby in einem Karton auf dem „Neues Leben“ steht, überreicht. Als der Kasper es mitten ins Publikum schmeißt, wirft sich Gretel mittenrein um die Puppe zurückzuholen, reißt sich dabei das Kostüm vom Leib und wirft es einem Zuschauer über den Kopf. Anschließend eine Darbietung des „alten Weihnachtsliedes“ Jingle Bells in ganz schlechtem Englisch, das genauso im Chaos endet wie der „Prolog“ und bei dem Herr Bachmann als Begleitung die Kuhglocken rüttelt.

Vor dem nächsten Türchenöffnen gibt es schnell noch Umbauanweisungen für Herrn Bachmann durch Frau Pieper, bevor beide bei einem Weihnachtsbazar, der eher einer TV-Verkaufsshow entspricht, kuriose Erfindungen präsentieren, wie sie moderiert, während er präsentiert. Aufgepeppt wird die Show durch einen „trostlosen Hund, aus einem armen Land seiner Wahl, zum Beispiel Rumänien“, von denen gleich zwei ihre Tricks zeigen und von denen einer sogar tanzen kann. Per Zaubertrick lassen Sie einen in der Kiste verschwinden, die Zuschauer reagieren mit „Toll“-Rufen. Weitere kuriose und nur bedingt nützliche Erfindungen: Die magische Kaffeemühle und ein Adventskranz inklusive Feuerlöscher.

Bei der nächsten Einlage gibt Frau Pieper erneut die Maria im Krippenspiel, nur diesmal steht sie mit dem Gesicht zum Publikum und bewegt die Lippen während sie mit Herrn Bachmann Rücken an Rücken steht, und er ihren Text sagt. Natürlich gibt es Schwierigkeiten bei der Umsetzung inklusive Vierter-Wand-Durchbruch und „Regie-Änderungen“. Nicht nur „Jesses, der Name der alternativen Kneipe in Bethlehem“ zeugt von einem kabarettistischen Zugang. Dann noch ein Zaubertrick statt eines Heiratsantrages. Herr Bachmann läuft ins Publikum, nimmt einem Zuschauer den Stuhl weg, weil er einen Thron braucht, fordert ein „Ausschalten dieser bescheuerten Weihnachtsmusik“ setzt sich und führt einen recht beeindruckenden Zaubertrick zu einem französischen Lied vor, bei dem er Gläser in Flaschen „verwandelt“ und am Ende einen Tisch voller Gläser vor sich hat, die er sämtlich austrinkt. Bein nächsten Türchen bzw. Programmpunkt geht es sportlich zu, denn „Weihnachten macht dick“. Abhilfe schaffen soll „Weihnachts-Fitness-Gymnastik“, bei der die Zuschauer auch ranmüssen und Herr Bachmann zeigt, dass er auch Aerobic drauf hat. Nebel und Musik und das Ausziehen bis auf die lange Unterhose aus der er so etwas wie Turnerpuder (?) klopft spreche eine deutliche Sprache. Das will Frau Pieper natürlich mithalten – und zwar mit Akrobatik im Negligé. Bei viel slapstick-haftem Nichtmehrhochkommen aus dem Spagat kommt Kascha Bs Tanzausbildung dann zugute.

Die Pause, die dann folgt, wartet wieder mit dem allseits bekannten Weihnachtspop auf, bevor Frau Pieper ihre „Schäfchen“ mittels Glocke wieder einsammelt, denn der ein oder andere Insasse/Zuschauer hatte sich sicher an die Bar verirrt, und sollte doch die Gelegenheit bekommen gerade rechtzeitig zur Gläsermusik wieder im Saal zu sein und eine Darbietung von „Stille Nacht“ zu genießen, bei der Frau Pieper die korrekte Tonhöhe durch Trinken und Wiederreinspucken halten muss, während Herr Bachmann spielt. Dass dabei die erste Reihe auch etwas abbekommt, war mehr als erwartbar.

Der nächste Programmpunkt nun ist etwas ganz Anderes: Ein echtes Schattentheater, das die Geschichte eines Bären erzählt, dessen Reise mit dem Thema der Hobbits aus dem Herr-der Ringe-Film unterlegt wird und bei den dramatischen Stellen weitere Musiksequenzen aus dem Filmen verwendet, auch das Elbenthema ist kurz zu vernehmen. Die Leinwand auf die das Ganze projiziert wird, ist die rechte Wand des Saal. Währenddessen werden auf die Bühne die Effekte vor den Augen der Zuschauer mittels Projektor und den Händen der beiden Akteure gemacht und man kann sich aussuchen, wo man lieber hinschaut, ob man sich der Illusion hingeben möchte, oder erfahren will, wie Schattentheater gemacht wird. SO oder so, die Reaktionen der Besucher sind laut und deutlich: von entzückten „Süss“ oder „Schön“-Ausrufen bis hin zu erstaunten „Ohs“ und „Ahs“ ist alles dabei. Plötzlich gibt es Probleme beim letzten Türchen. Bei einer Tanztheaterperformance frei nach Renate Pieper namens „Auf der Flucht“ ist Herr Bachmann als König verkleidet und reißt der Jesus-Puppe doch tatsächlich den Kopf ab! Es gibt nochmal die Weihnachtsgeschichte mit Maria und Josef, dieses Mal aber in einer sehr dramatischen Form, mit Herrn Bachmann als Engel. Nachdem die beiden durch die Wüste geflohen sind, verkünden sie in akzentvollen Englisch: „We are there.“

Als wenn es nicht schon wenig genug roten Faden gäbe, außer dass das Jesuskind eben irgendwie durch alle Szenen wandelt, ob es nun ins Spiel mitintegriert wird, oder in einem Körbchen auf einem Hocker etwas abseits vom Spielgeschehen „wohnt“, spielt Herr Bachmann plötzlich „O Tannebaum“ auf einer Bierflasche und die Zuschauer summen mit. Nach einer kleinen Einlange mit dem Thema „Eu-Norm in Bezug auf Krippengestaltung“ ( Ja, die macht eben vor nichts und niemandem Halt...) erklingt von irgendwo her der Kammerton und es geht weiter mit einer von Herrn Bachmann allein gespielten Oper die offensichtlich die Schöpfungsgeschichte behandelt, nur das plötzlich Zorro darin vorkommt, bei der das Publikum den Part des Chores übernehmen soll, den Herr Bachmann enthusiatisch dirigiert und das so sehr, dass einige Zuschauer vor Lachen nicht wirklich mitsingen können, was den „Maestro“ natürlich „verärgert“. Nachdem die bekannte Arienmelodie aus Carmen ertönt ist, geht es ziemlich „blutrünstig“ zu: Gedärme in Form von Stofflappen fliegen bei einem epischen Gemetzel und ein rotes Laken wird nach hinten gereicht. So wird zum Schluss zwar nicht das rote Meer geteilt, aber wenigstens bewegt.

Dann wird es wieder dunkel und das Weinen vom Anfang ertönt ebenso dieselbe Szene, nur dass diesmal die Figur nicht vermummt ist und einige der Effekte offengelegt deshalb eine skurrille Zweideutigkeit erzielen. Darüber hinaus befummelt Herr Bachmann nun nicht nur Frau Pieper sondern auch noch Leute aus dem Publikum, hinterher wieder eine Frau Pieper, die versucht den wildgewordenen alten Mann einzufangen.

Am Ende glänzen nochmal die beiden „trostlosen Hunde“ mit ihren Tricks und zeigen wie gut sie trainiert wurden. So gut, dass sie die Bühne gar nicht mehr verlassen wollen.


Fazit


Auf der Folie einer eigentlich besinnlichen Weihnachtsfeier werden die  Wahrheiten des Festes umso mehr offenbar, je tiefer in die Welt der skurillen Weihnachtsgeschichten und deren Darstellung eingegangen wird und sie eine Seite des Festes zeigen, die ganz und gar nicht verklärt anmutet, eben die "wahre" Seite. Und die befindet sich irgendwo zwischen Kaspertheater und Kabarett.

Mit Mitteln von unter Anderem Jahrmarkttheater, Varieté, Oper, Kaspertheater, Tanztheater, Schattentheater, Comedy, Slapstick und Comedy hat die COMPAGNIA BUFFO gleich einen ganzen Katalog an Stilmitteln und Genreformen, mit denen sie ein Publikum unterhalten wollen um ihnen ein Theater zu bieten, das ganz dem „kindlichen“ Vergnügen entspricht. Was sie schaffen, ist ein Spektakel, das lachen und staunen lässt, das mit Abwechslung und Unerwartetem und erstaunlich wenig Plattem aufwartet. Willi Lieverscheidt und Kascha B verstehen aufgrund ihrer Vielseitigkeit ihr Handwerk als Darsteller voll und ganz und auch die beiden Hunde sind eine Überraschung, die ihren Haltern natürlich die Show stehlen, aber das ist beim Einsatz von Tieren auf der Bühne im Prinzip klar. Die Idee des Rahmens mit dem Altersheim als äußerem fiktiven Spielort für die Aufführung einer Weihnachtsfeier ist eine gute Idee, zumal man bedenken muss, dass die Räumlichkeiten des Schlachthofes keine Vorführung im Zelt vorgesehen. Ebenso der Rahmen mit den beiden Figuren Frau Pieper und Herr Bachmann, die ein Spiel im Spiel ermöglichen. Da es einfache kurzweilige Szenen sind, die darsgestellt werden, ist ein agiles körperliches Performen und eine schnelle Anschlussfähigkeit gefordert, die der schon etwas ältere Lieverscheidt erstaunlich gut und die ausgebildete Tänzerin Kascha B ohne hin beherrscht. Die überdrehten Figuren bzw. Typen der engagierten Ehrenamtlichen und des tüddeligen Insassen verkörpern sie innerhalb des gelegten Rahmen glaubhaft. Dasselbe gilt für die Kostüme. Die Inszenierung ist „gut“ ausgestattet. Ohne all die liebevoll originellen und detaillierten Requisiten wäre sie nicht denkbar. Jedem Kostüm, jedem Teil, das herumsteht oder bespielt wird, hängt der Geist einer alten verstaubten und der Zeit irgendwie entrückten Wanderbühne an. Zwar ist eine historische Commedia dell’ Arte etwas anderes, und auch die Theaterformen der „Spielleute“, dennoch ist der Geist und die Intention dieser Theaterformen in jeden Detail, in jeder Szene spürbar. Ob jetzt das kindliche Vergnügen wörtlich genommen werden kann, sei dahin gestellt. Auf jeden Fall sind die ausnahmslos erwachsenen und meist mindestens mittelalten Zuschauer sofort gefangen in der Show. Sie lachen viel, nehmen die Gags und auch die Mitmachaktionen gut an und äußern zwar bei den paar zweideutig grenzwertigen und gewollt grotesken Einlagen besonders am Ende den ein oder anderen Laut des schockierten Unmutes und der „Cringes“. Dennoch, die Einstudierung sitzt genau, der ein oder andere doppelte Boden könnte beim mehrmaligen Anschauen sicher auch noch entdeckt werden und besonders die erhellende Einlage des Schattentheaters ist etwas Ungewöhnliches und Erlebenswertes.



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