Kritik Musik-Show Personal Jesus Junges Theater Göttingen

Eine Zeitgeistreise durch die 80er, 90er und dem besten von heute



Die Inszenierung

Seit vier Jahren sind die Musikshows des Jungen Theaters Göttingen eine feste Unterhaltungs-Institution in der Stadt. Nach der bisher erfolgreichsten Produktion dieser Art („Satisfaction“) im letzten Jahr müssen die Shows seit dieser Spielzeit aber auch in der vorübergehenden Bühne am Wall überzeugen. Die fast ausverkaufte erste Vorstellung der Wiederaufnahme der diesjährigen Show „Personal Jesus“, die bereits im alten Haus und Open Air gut abgenommen wurde, zeigt jedenfalls, dass auch in der aktuellen Spielzeit die Lust des Göttinger Publikums an den inszenierten Kult-Hits (Regie: Tobias Sosinka, Musikalische Leitung: Fred Kerkermann), in diesem Fall der 80er und frühen 90er, nicht nachgelassen hat.

Die neue Bühne, vor kurzem erst fertig gestellt, beherbergt die Band (Ariane Mihm am Backgroundgesang und Trompete, Kerkermann an der Gitarre, Steffen Ramswig am Keyboard, Sebastian Strzys am Bass und Christian Villmann am Schlagzeug), in einer Art Kasten in der Mitte, einige Mitglieder stehen davor inklusive Mikros, am Rand befindet sich als eines von zwei Bühnenelementen eine hölzerne Treppe die nach hinten führt: Hinten links kommt ein Mann in beigen Anzug mit umgeschnallter Akustikgitarre (Jan Reinartz) auf die Bühne und hält eine Kassette hoch. „You know what this is?“, fragt er ins Publikum, dann kommt eine Frau aus dem Off (Jacqueline Sophie Medel) und guckt sich das Ganze von hinten links an. Nachdem die beiden die Positionen getauscht haben, und er sie von hinten links beobachtet, tippelt er wie eine Ballerina los und die erste Nummer („Psychokiller“)beginnt. Während die beiden Schauspieler humoreske Hebefiguren vollführen, treten zwei weitere Ensemblemitglieder (Katharina Brehl und Andreas Krüger) auf und bringen eine Gießkanne mit auf die Bühne. Während sie ihn gießt, erklingen die ersten Akkorde von „Wicked Game“, er zieht sein Shirt aus, wringt es aus und wischt sich damit erst übers Gesicht, bevor er den Boden damit wieder trocken wischt. Die ersten Lacher sind gesichert, bevor Katharina mit der nächsten Nummer („Proud Mary“ von Tina Turner) ihre Stimmgewalt in Gänze erstmalig beweisen kann. Aus langsamem Soul wird eine spaßige Aerobic-Show inklusive Lichtexplosion (E-Technik: Heiner Wortberg, May Maybe, Pablo Salvador Castro). Mit Billy Idol’s „Rebell Yell“, emotional dargeboten von Andreas Krüger im Rocker-Outfit, wird nicht nur der Synth-Sound ausgepackt, sondern auch der Nebel rausgeholt. Das eher ältere Publikum, in dessen Reihen sich aber auch ein paar jüngere Zuschauer befinden, singt dezent mit, während sich die Nummern auf der Bühne in Punkto Intensität und Ohrwurmfaktor stetig steigern, eine wild tanzende Jacqueline im Punkrock-Outfit (Ausstattung: Hannah Landes) lässt die Nummer ausklingen, bevor mit REM’s „Losing my Religion“ tragischere melancholischere Saiten des Rock aufgezogen werden, darstellerisch und inszenatorisch gespiegelt im Spiel Mendels, die nachdem sie hinten links kauernd einen Brief lesend, die Kassette zerstört, während Reinartz mit Gitarre an der Rampe steht und singt. Anschließend singt sie sich mit The Cures „Boys Don’t Cry“ den Frust von der Seele bevor Brehl im weißen Brautkleid auftritt und mit Männern in Mafia-Hüten , die um sie herum knien, das chorale Intro von „Like A Prayer“ anstimmt. Unterm Kleid, dessen sie sich schnell entledigt und das Rockerin Mendel rausträgt, trägt Brehl schwarzen Tüll und ist bereit für die nächste Nummer(„Highway to Hell“), in der sie für den singenden Krüger in der Lederhose als schwarze Tüllballerina die Beine spreizt. Prompt fühlen sich die älteren Herren im Publikum wieder jung, stehen auf und singen begeistert mit. Gerade richtig für das Herzstück der Show, „Personal Jesus“, bei der auf den Boden gehämmert, Wasser in Wein verwandelt und anschließend getrunken wird. Das nächste Lied, das hymnische „The Winner Takes IT All“ von ABBA, eigentlich eher was für den Abschluss, lässt Zuschauer und Darsteller kurz innehalten. Brehl, die ihr Weinglas noch in der Hand hält, hat das Outfit gewechselt, bevor sie bei „Stop“ nochmal stimmlich Gas gibt. Das gibt dann auch Karsten Zinser bei dem nun darauffolgenden Highlight. Bei „Sweet Dreams“ in der Version von Marilyn Manson macht er, beginnend in Ledermantel und Springerstiefeln und endend in Strapsen dem Schockrocker alle Ehre. Nachdem er fast ins Publikum gerollt ist, geht er durch die Reihen und den Leuten fast auf den Schoß (...und das mit quasi nacktem Hintern im String!...)Es  ist nach neun, da kann so was schon mal passieren... Kaum hat das Publikum sich von dieser Einlage wieder „erholt“, kommt eine stark wackelig auf den Beinen stehende Brehl mit Ballons in der Hand und singt mit gar nicht wackeliger Stimme das schwierige „I will always love you“. Gesangstechnisch kann das an diesem Abend keiner mehr toppen, deshalb schaut bei der nächsten Nummer auch das erste und einzige Mal an diesem Abend der Rap in Form von Eminems „Lose Yourself“ und Zinser in überdimensionalen Baggy-Klamotten vorbei. Nach „One“ mit Herzballons ist die Show aber noch nicht zu Ende, nein, denn „eine Kassette haben sie noch.“ Auf der ist dann David Bowies „ We can be heros“ als Rausschmeißer, mit an alle verteilten Rasseln zu Mitmachen. Die älteren Herren sind auch hier nicht nur wieder die ersten die aufstehen, sondern ermutigen auch jeden der bis dahin noch saß, es ihnen gleichzutun. Dafür bedankt sich das Ensemble mit zwei Zugaben(„Don’t you (forget about me)“ und „With a Little Help from my friends“).

 

Das Fazit

Inspiriert von den 80er Jahren und ihrer Musik arrangierte der Musikalische Leiter der Produktion, Fred Kerkermann Songs zwischen hauptsächlich New Wave, Elektro, (Synth-)Pop und (Hard-)Rock für Band und Ensemble völlig neu. Herausgekommen ist dabei eine musikalische Zeitgeistreise, die auch Elemente wie den Diskobeat der 70er oder sogar den HipHop der 90er und frühen 2000er unterwegs mitnimmt und so nicht nur die Genre-, sogar auch Jahrzehnt-Grenzen sprengt. Tobias Sosinka übersetzt mit seiner mitreißenden Inszenierung fast zwanzig Perlen der Pop-Musikgeschichte und das Lebensgefühl einer oder auch mehrerer Generationen Bilder und kleine Szenen, die für sich sprechen, auch wenn vielleicht nicht jeder die Songs mit eigenen Erinnerungen verbinden kann. Dennoch spricht die Begeisterung gerade der älteren Zuschauer immer wieder für sich. Eine solide musikalische Performance und teilweise sängerisch mehr als überzeugende Schauspieler (insbesondere Katharina Brehl) sorgen für einen kurzweiligen Abend und eine vielleicht etwas andere Sicht auf bekannte Hits. Zum Erinnern, Neu- und Wiederentdecken, zum Mitsingen, Mitwippen und Mittanzen auf jeden Fall empfehlenswert.


Personal Jesus

Musikshow 

am Jungen Theater Göttingen Spielzeit 2019/20

besuchte Aufführung: 04. Oktober 2019

weitere Vorführungen : 28.12.2019 // 11. 01.2020

Spielort: Bürgerstraße 15, 37073 Göttingen.

Weitere Informationen hier.


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