Vorstellung "The English Theatre      Frankfurt"

Roads taken and paths ignored

Kritik "Now and Then" plus Hausvorstellung


Das Theater

In Anbetracht des Programms vieler staatlicher Häuser fragt sich vielleicht zu Recht der ein oder andere Theaterbesucher, der nichts von politischer Belehrung oder inszenatorischen Egotrips hält, wo um alles in der Welt er denn einfach mal einen netten, lustigen, berührenden und vor allem unterhaltenden Theaterabend erleben kann, ohne gleich mit dem Reisebus in die Musicalpaläste dieser Republik fahren (vielleicht auch, weil er nicht unbedingt auf Musicals steht!) oder sich die neueste Aufführung der lokalen Laienspielgruppe antun zu müssen (wobei ich ausdrücklich darauf hinweise, dass Laienspielgruppen unbedingt ihre Existenzberechtigung haben müssen!)? Muss er dafür erst ins Ausland reisen, ins Londoner West-End oder gar über den großen Teich zum Broadway? Nein, das muss er nicht. Aber Englisch sollte er schon können.

Wenn dies der Fall ist, dann bietet das „The English Theatre Frankfurt“ ebendiesem Zuschauer alles, was dessen Herz begehrt, ohne dass er den Kontinent dafür verlassen muss.

Im Keller eines Bankgebäudes gegenüber der Gallusanlage im Schatten der Wolkenkratzer hat das größte englischsprachige Theater Kontinentaleuropas seit gut 20 Jahren seine Heimat, nachdem es 1979 gegründet, mehrfach umbenannt wurde und auch umziehen musste. Englischsprachige Produktionen, inszeniert von einem britisch-amerikanischen Regieteam und gespielt von einem professionellen Ensemble kann man außer in Frankfurt nur noch in Hamburg, Berlin und einigen europäischen Hauptstädten erleben. Die Stückauswahl beinhaltet sowohl Klassiker als auch neue und moderne Schauspiele aller Genres von Komödien und Parodien, Thrillern und Krimis bis zu Dramen und Tragödien sowie Musicals.

Das Stück

Eine „berührende romantische Komödie über die Konsequenz unserer Entscheidungen, und die Menschen, die sie mit uns tragen“ ist Now and Then von Sean Grennan unter der Regie von Natasha Rickman, die aktuelle Produktion des Theaters, die dort auch ihre Deutschland-Premiere feiert. Meine bisherigen Erfahrungen mit Englischem Sprech-Theater beschränken sich auf eine Inszenierung von Macbeth, an die ich mich nicht mehr wirklich erinnern kann und ein Besuch im Londoner Shakespeare's Globe, wo mir zwar die Erfahrung als Groundling erspart blieb, ich aber nur die Hälfte von Much Ado About Nothing verstand, wenn überhaupt, und mich schrecklich langweilte. Dennoch nicht wirklich abgeschreckt, sondern nach wie vor neugierig, beschloss ich die Gelegenheit zu nutzen und dem Theater bzw. der Inszenierung eine Chance zu geben. Außerdem habe ich kein Problem mit Englisch, mit romantischen Komödien hingegen aber eigentlich schon. Auf dem Weg zu meinem Logenplatz begegnet mir ein Schild, das mich nicht nur über die Dauer des Stücks und die Pausenzeiten informiert, sondern mir auch einen etwas ironischen Hinweise darauf gibt, dass mich an diesem Abend absolut familienfreundliche Unterhaltung erwartet, FSK 0 sozusagen, wie sich das für eine romantische Komödie gehört. Das ganze natürlich auf Englisch („No warning! First time for everything :) NOW AND THEN is absolutely family friendly show. Vanilla :)).

Vor Stückbeginn wird man mit den Hits der von 1981 (Tainted love, Just the Two of Us…) in Stimmung gebracht, bevor einem eine englische Bandansage mitteilt, dass man sein Handy ausschalten soll, nicht primär, weil man nicht filmen soll, sondern weil wir 1981 haben… Stückbeginn ist ein wenig später als angekündigt, denn die ganzen Horden von Teenies inklusive Lehrpersonal müssen erst alle auf ihre Plätze. Zwar verfügt Frankfurt mit einem internationalen Flair und den vielen englischen Muttersprachlern, die dort arbeiten, über ausreichend muttersprachliches Publikum, nichtsdestotrotz ist die Tatsache, dass es für Schulklassen aus der Region interessant sein muss, ein englischsprachiges Theater quasi vor der Haustür zu haben, nicht von der Hand zu weisen. Die Vorstellung ist insgesamt gut besucht; es sind Zuschauer aller Altersklassen anwesend (bis auf Kinder). Bühne und Zuschauerraum sind nicht durch einen Vorhang getrennt und der Zuschauer kann schon lange vor Stückbeginn die Ausstattung (ein detailliert eingerichteter Irish Pub im Amerika der frühen 80er Jahre, inklusive beeindruckender Spirituosensammlung, einer Jukebox und einem Arcade-Game-Automaten) bewundern. Der junge Wirt (Oliver Nazareth Aston) spielt an ebendiesem als ein ca. 60 Jahre alter Mann mit Glatze und in Jeansklamotten (Mark Pinkosh) die Kneipe betritt und nach einer letzten Runde fragt. Während das ältere Publikum die ersten Lacher von sich gibt, schauen die Teenies gebannt zu. Ja, das ist wohl irgendwie wie Netflix bzw. wie How I met your Mother, nur eben live. Nach einer Einlage von der Figur des Jamie auf dem Klavier, mit der er dem Gast zeigt, dass ihm zum professionellem Musiker doch noch einiges fehlt, und der Schauspieler für seine Darbietung mit einem Zwischenapplaus geehrt wird, kommt die Handlung in Gang. Der alte bietet und Jamie und dessen Freundin Abby (Annabelle Terry), die gerade ebenfalls von ihrer Schicht in einer Kneipe gekommen ist, 2000 Dollar an, damit Jamie sich auf sein Musik-Studium fokussieren kann. Auch Abby erzählt dem Gast von ihrem Studium und ihren Ambitionen im Bereich Literatur, während Jamie kurz abwesend ist. Nach vielen Drinks, bei denen man irgendwann selbst Durst bekommt, und vielen Anekdoten werden Abby und Jamie immer misstrauischer dem Fremden gegenüber, gerade, weil er soviel über die beiden weiß, nicht offenlegt, wer er ist. Schließlich kommt aber alles raus und der Fremde hält den beiden seine Zeitreiseuhr hin (i-time). Er ist Jamie aus einer 35 Jahre späteren Zukunft und ist extra in das Jahr 1981 gereist, um seinem jüngeren Ich und dessen Freundin mit dem Geld Möglichkeiten zu eröffnen und den Lauf der Geschichte zu verändern, um beiden ein glücklicheres Leben und die Erfüllung ihrer Träume zu ermöglichen. Dass das Geld dabei nur für einen reicht, ist nicht der einzige Konflikt, denn auch Abbys 35 Jahre älteres Ich (Bryonie Pritchard) kommt aus der Zukunft angereist, um ihrem Mann eine Standpauke zu machen, ist es doch nicht weniger als der geplante Heiratsantrag, der verhindert werden soll. Das Resultat dieses Treffens ist, dass Abby Jamie verlässt, weil sie „nicht diese Leute werden will“. Nach einer Umbaupause, die simulieren soll, dass man mittlerweile das Jahr 2016 erreicht hat, erfährt der Zuschauer, dass der alte Jamie, der nur andere Schule trägt, die Kneipe gekauft hat und es trotz allem nicht zum Musiker geschafft hat. Abby, von der er all die Jahre nichts gehört hat, ist eine elegante und erfolgreiche Professorin für Literatur geworden und hat sogar einen Gedichtband veröffentlicht. Die beiden schwelgen in Erinnerungen und realisieren, dass sie vielleicht doch damals die falsche Entscheidung getroffen haben. Die alten Gefühle flammen auf und der Ring, den Jamie vor so vielen Jahre für Abby gekauft hatte, steht noch immer hinter einer der Flaschen an der Bar. Nur eine Familie konnten sie eben nicht gründen und werden es auch nicht mehr. Aber das ist in diesem Moment nicht das Thema. Wie es nun weitergeht, bleibt der Fantasie des Zuschauers überlassen, während parallel beide Paare eng umschlungen tanzen und sich küssen, während Licht und Musik zum Einsatz kommen.

Das Fazit

Mit Mitteln des Theaters Science Fiction und Zeitreise darstellen sieht folgendermaßen aus: Wenn einer seine i-time-Uhr betätigt, dann leuchten im Hintergrund die Fenster rot.

Rückblenden werden mit Licht (Jane Lalljee) und Musik (Lex Kosanke) eingeläutet, ein Platzwechsel im Dunkel ist definitiv als solcher erkennbar. Selbstverständlich, wir haben es mit Theater zu tun. Die Geschichte lebt von der Fähigkeit der Darsteller den Zuschauer abzuholen und mit ihm gemeinsam die Geschichte zu erleben, geführt von der Regie, visualisiert durch Bühne und Kostüm (Ryan Dawson) und Licht, emotional unterstützt und eingefärbt durch Musik. Den vier Darstellern, allen voran Mark Pinkosh, gelingt das ohne Frage, nur hätte man an manchen Stellen sicher kürzen können. Die Aufmerksamkeitsspanne des einen oder anderen jugendlichen Zuschauers hätte sicher gedankt, ist ein auf der Brust gefallener Kopf doch ein recht eindeutiges Zeichen.

Viele der Witze reißen einen nicht wirklich vom Hocker, sie spielen sehr mit Männer- und Frauenklischees, aber hey, es ist eine harmlose Rom-Com, die unterhalten soll und ich unterstelle dem Großteil des Publikums hier mal nicht, dass es nur aus Höflichkeit gelacht hat. Alles in allem ist Now and Then aus meiner Sicht jetzt nicht wirklich „the feel of an old Hollywood Movie“ und ob es ein regelrechtes „Hidden gem“ ist, ist sicherlich auch Ansichtssache, aber es ist eine mehr als willkommene Abwechslung und echte Alternative zum aktuellen deutschen Regietheater, völlig egal, wo. Now and Then ist Unterhaltung, nicht mehr und nicht weniger, denn das intensive und natürlich Spiel der vier Darsteller, die subtil eingesetzten Effekte, die liebevoll gestaltete Ausstattung und die schon irgendwie bezaubernde Geschichte, die definitiv zum Nachdenken anregt, erfüllen diesen Auftrag zu 100 %. Dem am Ende rhythmisch applaudierende Publikum, von dem nach der Pause keiner gegangen war, ging das sicher so.



Der Ausblick

Ein Hauch von Broadway und West End im Frankfurt sind keine Selbstverständlichkeit und ihre Existenz ist bedroht. Probleme mit Räumlichkeiten, Mietverträgen, einer freiwilligen und nicht staatlich verordneten Förderung durch die Finanzindustrie und dem kürzlichen Wegfall einer gestrichenen Gemeindeförderung zeigen, dass das größte rein englischsprachige Theater Kontinentaleuropas nicht die gleiche Behandlung bekommt, wie die deutschsprachigen staatlichen Häuser und sich neben freiwilliger finanzieller Förderung auf dem freien Markt durchsetzen muss. Laut Deutschlandfunk Kultur hält man „zusätzliche Projektmittel“ des Landes Hessen zwar für „denkbar, ein langfristiger Zuschuss zur Basisfinanzierung des English Theatre ist jedoch nicht in Sicht“ und laut Journal Frankfurt ist die Zukunft des Theaters bereits seit Jahren ungewiss und der Intendant des Theaters betont: „Wenn wir zwischen April 2023 und Januar 2024 schließen müssten, gäbe es uns danach nicht mehr“. Mit seinen speziellen Theaterangeboten für Jugendlichem inklusive Sprachförderung neben dem regulären Programm ist das English Theatre definitiv von gesellschaftlichen und pädagogischem Nutzen und hätte definitiv eine staatliche Förderung verdient. Wenn alle Vorstellungen so gut besucht sind, wie die, die ich gesehen habe, ist das Theater überdies eine wahre Bereicherung des kulturellen Lebens und Frankfurt und dessen internationaler Ausrichtung. Mal abgesehen davon, ist es auf dem Profil-Sektor eine echte Alternative zu staatlich geförderten Spielplänen und Musicals.

Es ist offensichtlich, dass die englischsprachigen Förderer aus dem Finanzwesen und deren Angehörige selbst am Erhalt des Theaters interessiert sein müssen.

Ich kann jedem, der in Frankfurt am Main ins Theater gehen möchte, diese Spielstätte mehr als nur empfehlen und zu deren Erhalt mit einer Eintrittskarte oder einer Spende beizutragen.


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