Michael Kohlhaas am Staatstheater Kassel Kritik

Vom Pferdehändler zum Rächer


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Symboldbild ©pixabay/diaan11

Der Stoff

„Es ist nicht alles wie es sein soll“, sagt in Heinrich von Kleists 100 Seiten langer Novelle über den Rosshändler Michael Kohlhaas, welcher aufgrund eines ihm angetanen Unrechts zur Selbstjustiz greift, dessen alter Hausmann Thomas auf Seite 70, als Kohlhaas realisiert, dass er, als Gefangener der Regierung dauerhaft von Landsknechten bewacht wird, die sein Haus umstellt haben. Bis dahin ist in seinem Rachefeldzug nach Scheitern des Rechtsweges wegen zweier heruntergewirtschafteter Pferde einiges an Kollateralschäden passiert: der Tod seiner Frau, niedergebrannte Städte, verwüstete und entvölkerte Landstriche, Trittbrettfahrer die in seinem Namen und des Plünderns und Brandschatzens willen plündern und brandschatzen...

 

Eine tragische Geschichte, die 1810 im ersten Band von Kleists Erzählungen veröffentlicht wurde und auf einem historischen Vorbild basiert (Hans Kohlhaase {1500-1540}). Hier führt ein einzelner Krieg gegen die Obrigkeit, als sich, historisch gesehen, gerade der absolutistische Staat mit seiner Willkür herausarbeitete und das mittelalterliche Gesellschaftsdenken mit Raum zur Selbsthilfe ablöste. Michael Kohlhaas steht dabei zwischen verschiedenen Rechtsauffassungen. An seiner Person wird dieser Konflikt gezeigt und reflektiert und wirft die Frage auf, ob dieser Mensch ein Rebell ist, ein Märtyrer oder ein Querulant, ein Verbrecher oder ein Held ...

 

Kleists Novelle beschäftigt nicht nur Schüler im Deutschunterricht oder Literatur – und  Germanistikstudenten. Der Stoff wurde seit den 60er Jahren mehrfach verfilmt und auch für die Bühne adaptiert. So auch vom Staatstheater Kassel in der Spielzeit 2018/19 für den Spielort tif, der Kammer- und Studiobühne des Theaters.

 In einer eigenen Bühnenfassung (Dramaturgie: Petra Schiller) erzählt Regisseur Janis Knorr die tragische Geschichte des Rosshändlers Michael Kohlhaas in einer Stunde und 15 Minuten.

Die Inszenierung

 „Es ist nicht alles wie es sein soll“, „An den Ufern der Havel...“, „Das Geschehene ist nicht zu ändern“: Ein alter Mann (Jürgen Wink) versucht immer wieder den Anfang der Novelle „Michael Kohlhaas“ zu erzählen, kommt aber nicht dazu und muss wieder und wieder von vorn beginnen, zu Musik im Hintergrund. Als der Mann, der Michael Kohlhaas sein soll (Enrique Keil) an die Wand klopft, wird es dunkel und Wasser, das Regen sein soll, tröpfelt mal schwächer, mal stärker von der Decke.  Im nächsten Abschnitt treten Michaela Klamminger und Christian Ehrich zu den beiden anderen Schauspielern und bilden zu viert im Dunklen eine Reihe.

Sie fungieren nun als die vier Erzähler E, M, C und J und erzählen die Geschichte ab der Stelle mit dem Passierschein. Immer der, der gerade spricht, erhellt sein Gesicht mit einem Feuerzeug.  Durch diesen Effekt und auch durch andere darstellerische Effekte malen die vier Schauspieler beim Erzählen ein teilweise symbolisches und abstraktes Bild. Atmosphäre entsteht auch durch die von den Schauspielern, die gerade nicht erzählen erzeugten Geräusche, ähnlich wie bei einem Hörspiel.

Danach verkörpern Klamminger, Keil und Ehrich die Figuren Lisbeth, Kohlhaas’ Frau, Kohlhaas und Herse, Kohlhaas’ Knecht und spielen die Szene, in der Herse Kohlhaas vom Schicksal der desolat zugerichteten Pferde beim Junker von Tronka und der schlechten Behandlung seiner eigenen Person, berichtet.  Nach seinem Bericht ist er so fertig, dass er sich dem Alkohol auf dem Tisch zuwendet. Eine weitere ganz Konkrete Spielszene der Erzählung ist die, in der Kohlhaas sich umgewandet, bevor er in den Rachekrieg zieht, in dieser Inszenierung legt er eine Art silbernen Wrestling-Gurt an (Bühne und Kostüme: Michael Lindner).Ehefrau Lisbeth versucht ihn aufzuhalten. Dann kommt eine Sequenz, in der sich Schauspieler Ehrich an ein in der Nähe des Tisches stehendes Klavier setzt und auf diesem ein paar Septakkorde anschlägt, während Schauspielerin Klamminger ein trauriges Lied singt. Währenddessen legt Kohlhaas vorn auf der Bühne die Steine und zerknüllten Papiere auf einen Haufen. Es ist die Stelle, an der berichtet wird, wie Lisbeth getötet wurde. Schauspieler Keil (Kohlhaas) liest sie aus einen Brief vor, Klammiger (Lisbeth) hält dabei das beige Kleid in den Händen, das sie vor der Stubenszene an die Wand gehängt hat. Beide stehen vorn an der Rampe. Dann stehen sie dort zu viert und erzählen vom Sturm und vom Rachefeldzug.

Kurz darauf ist der Erzählmodus beendet und die Figur Kohlhaas hat einen emotionalen Ausbruch. Während seiner Rede/ Foderung montieren die das Brett von der Wand und die Bühne füllt sich mit Nebel. Kohlhaas stellt einen Stuhl in die Mitte, zieht sich Engelsflügel an und stellt sich mit einer Waffe auf den Stuhl, beleuchtet von Gegenlicht. Ein starkes Bild. Jetzt wird durchs Stück gehetzt. Das immer wieder selbe Motiv/Pattern in der Musik (Musikalische Betreuung: Thorsten Drücker); die gesungenen  „Uuuuhs“ erzeugen Spannung. Das Stück nähert sich seinem Höhepunkt. Kohlhaas, der sich mittlerweile für den Statthalter Michaels des Erzengels auf Erden hält, trifft auf Martin Luther (Jürgen Wink). Immer noch auf dem Stuhl stehend, kommen ihm bei Luthers Worten die Tränen, er versteht, während Klamminger ein weißes Blatt Papier an seine Brust pinnt. Kohlhaas und Luther führen eine Art Grundsatzdisskussion. Nachdem er durch das Vortragen seines Anliegens Luther überzeugen konnte,  geht Kohlhaas vom Stuhl und nimmt die Flügel ab. Dann entsteht das Chaos, alle reden aggressiv durcheinander. Als sie dann von Kohlhaas’ Hinrichtung erzählen, hocken sie als Gruppe in der Mitte der Bühne zusammen, Kohlhaas in ihrer Mitte.  Es tröpfelt wieder. Kohlhaas sagt, er sei bereit dazu. Der Kreis schließt sich: „Es ist nicht alles wie es sein sollte.“

Das Fazit

Die Figur Kohlhaas, einer der „rechtschaffensten und zugleich entsetzlichsten Menschen seiner Zeit“ polarisiert(e). Die Inszenierung von Janis Knorr stellt sich auf keine Seite. Sie zeigt. Mal tut sie das konkret in einer Szene mit spannender psychologischer Personenregie und tiefem konzentriertem Spiel der Darsteller oder durch Symbole und symbolische Gesten, sparsame Andeutungen. Die Bühne Michael Lindner scheint voll von Zeichen zu sein. Der Text liegt im Weg, man muss sich durchkämpfen, ihn wegräumen, anordnen, kann ihn nie zur Seite legen und das im wahrsten Sinne des Wortes: Die Bühne ist überseht von Blättern. Es wird aus Briefen vorgelesen. Es herrscht Unordnung, Waffen liegen herum, von der Bühne tröpfelt es, die Kleidung der Figuren (Kostüme: Michael Lindner) farblos und minimalistisch modern. Unwirtlich und beklemmend ist die Ausganglage Michael Kohlhaas. Die kleine Bühne, die nur  vier Akteure und der auf seine Quintessenz zurechtgestutzte und szenisch aufgearbeitete Text sorgen für eine dichte Kammerspielatmosphäre in einer Stunde und 15 Minuten. Minimalistisch, spannend, verständlich und sehenswert.



Michael Kohlhaas

Schauspiel nach der Novelle von Heinrich von Kleist

am Staatstheater Kassel Spielzeit 2018/19

besuchte Aufführung: 20. Dezember 2018

weitere Vorführungen : 30.01.2019 / 03.02.2019 / 19.02.2019 / 20.02.2019 / 21.02.2019 / 22.02.2019 / 22.03.2019

Spielort: tif- Theater im Fridericianum

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