Lucio Silla am Staatstheater Kassel Kritik

Mondän-Modernes Barock


Symbolbild (c) Pixabay/kerttu
Symbolbild (c) Pixabay/kerttu

Gearde einmal 16 Jahre alt war Mozart, als er 1772 das Dramma per musica Lucio Silla komponierte. Es war zwar nicht die erste Oper, an der sich das junge Genie versuchte, für das Staatstheater Kassel ist es aber die erste Inzenierung dieses Stoffes in der Spielzeit 2017/18. Geleistest wurde sie von Stephan Müller, der sich am Haus bereits für Antigona verantwortlich zeigte. Ins All geht es diesmal aber nicht, denn das ganze spielt sich die ca. drei Stunden Aufführungsdauer über auf einem ringförmigen Holzfußboden ab, der den Orchestergraben umringt. Ansonsten ist die Bühne bis auf ein paar Waffen und eine Massagebank praktisch leer. Umso mehr fallen daher die dennoch subtilen Lichteffekte und vor allem die Videoprojektionen auf und ins Gewicht. Und die Kostüme, die zusammengefasst eine Art mondäne römisch-barocke 90er Jahre Modenschau sind.

 

Dieser modern mondäne Barock der Kostüme lässt Assoziationen zwischen Modedekadenz und dekadenten Römern als roten Faden der Inszenierung aufkommen.

 

Der Barock lief in der frühen Schaffenszeit Mozarts gerade aus, um dem Rokoko und der Vorklassik Platz zu machen. Übergänge natürlich fließend wie bei allem Epochen, versteht sich. So ist dann auch die Orchesterbesetzung bei Lucio Silla eher eine fast barocke kleine inklusive zweier Cembali.

 

Barockexperte Jörg Halubek versteht es auch bei Lucio Silla das gute ausbalancierte Orchester durch das Werk zu führen.

 

Rein musikalisch lässt dieser frühe Mozart bereits die Tendenz des Komponisten zu großen Szenen am Ende der Akte erkennen. Er findet für die unterschiedlichen Szenen und Charaktere verschiedene musikalische Ausdrucksformen und schrieb den damaligen Sängern die Arien auf den Leib. Die Sänger der Kasseler Inszenierung liefern allesamt durchaus eine solide Leistung ab, muss man doch bedenken, dass die Erkältungszeit auch das Ensemble nicht verschont hat. Trotz allem schaffen sie es wunderbar, die Geschichte des römischen Diktators Lucio Silla sängerisch und darstellerisch mit barocker Kammerspielatmosphäre zu erzählen. Lucio Silla will Giunia, die liebt Cecilio, Lucios Schwester Celia deren Freund Cinna, der versucht alle zu richten. Sillas Berater Anfidio kommt das hingegen ganz recht. Nach drei Stunden Intrigen, Stress, Gefangennahmen, bösen (Mord)Plänen und Gefühlsausbrüchen, agiert Silla auf einmal als sein eigener deus ex machina und verzichtet großmütig auf Rache und Tod, jeder darf heiraten, wen er will und alles wird gut. So singt jedenfalls der Chor und nur Anfidio ist der Gearschte, der steht auf dem Balkon rechts der Bühne, wo er eigentlich seinen Sieg genießen wollte und will es jetzt einfach nicht glauben. Tja, wer rechnet schon mit der plötzlichen Selbstreflexion eines Tyrannen... Der 16-jährige Mozart , aber der war ja auch zu gut für diese Welt und erkannte schon damals, das Liebe läutern kann, wenn sie nicht mit Besitztum verwechselt wird. Runtergebrochen eine simple Botschaft. Auch Stephan Müller verzichtet in seiner Inszenierung auf übertriebene Details. Reduktion heißt das Zauberwort und wie kann man Dekadenz besser anprangern, als sie NICHT darzustellen oder eben stilistisch-abstrakt. Heraus kommt, wenn man so will, eine Art modernes Barock. Die Mondänität ist vorhanden, ohne Schnörkel oder überbordende Details. Sie liegt in der düsteren Eleganz und den barocken Gesten, die eingesetzt werden. Weitere barocke Elemente sind die Doppelungen mit Tänzern, die während der Arien im Hintergrund/ hinter einen Schleier, Kampfszenen oder Choreos machen. Der Beginn der Musik im Hellen ist auch ein Stilmittel des Barock, weil die Overtüre und nicht die Lichtdimmung den Beginn der Oper markierten.

 

Licht wird die ganze Inszenierung über eher subtil eingesetzt; besonders auffällig ist aber, dass es mit Giunias Auftritten noch heller und wärmer wird. Einen Kontrast zu dieser eigentlich harmlosen, aber sterilen und deshalb nicht einladenden Wohnzimmer/Möbelhaus/Ring-of Wood- Bühne bilden die teils doch recht krassen Videoinstallationen, die zeigen, was die jeweilige Arie dann doch eher poetisch-metaphorisiert in Worten ausdrückt. Zwar ist dies auch metaphorisiert, aber dennoch modernisiert. Wenn man alles krampfig modernisiert, endet es im Snuff-Film könnte man sagen?!  Aber Snuff ist Realität und warum sollte man nicht zeigen, welche Realität sich hinter einer Allegorie verbirgt?! Die Frage ist aber: Muss man es aber auch so zeigen... Insgesamt sind die Filme aber doch schon eindrucksvoll gemacht, durchaus nicht nur mit Schock, sondern auch Gruseleffekt (siehe Friedhof). Was fürs Auge sind jedenfalls auch die Kostüme der Figuren, denn Kostümbildnerin Carla Caminati hat definitiv ihre Modehausaufgaben gemacht und für die Lucio-Silla- Inszenierung  ein mondänes modernes Barock kreiert. Moderne und barocke Elemente gehen bei den Kreationen Hand in Hand und manifestieren sich hier – im Gegensatz zur Bühne – durchaus in übertriebenen Details.  Silla und Celia verkörpern modisch eine Art 90er SM-Gothic. Silla trägt, je nach herrscherischer Ausrichtung ein Netzshirt mit Schlangen drauf, einen dekadenten Anzug, einen schwarzen Schlangenledermantel oder einen Bondagerock. Passend dazu die Wachen, die einmal als SS- und einmal als SM-Schergen auftreten. Celia – mit 90er Signature-Frise – kann sich in ihrer weißen Plastikjacke über dem Mesh-Outfit nicht entscheiden, ob sie lieber zum Rave oder ins Labor möchte. Anfidio ist im lila Anzug schlicht „böse“, Cinna erinnert im goldenen Brokatanzug an einen barocken Dandy, der sein Outfit mit Chelsea-Boots ins Hier und Jetzt holt, während Cecilio eine Kreuzung aus Dracula und Zirkus ist. Celia, modisches Highlight der Figuren, beweist ihre Unschuld und Reinheit in einer weißen Risenvolantärmelbluse, zu der sie aber rote Overkneesockboots kombiniert. Und weil sie die einzige echte Lichtgestalt sein will, dürfen ihre Dienerinnen zum auf sie abgestimmten Outfit nur schwarze Accesoires kombinieren. Chronologisch hat aber der Chor das letzte Wort und der tritt schlicht in Schwarz auf.

 


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