Kritik Götterdämmerung Staatstheater Kassel

Der Ring geht ins Publikum



Bereits zum fünften Mal „schmiedet“ das Staatstheater Kassel den Ring des Nibelungen, das bedeutendste Werk Richard Wagners, einen vierteiligen Opernzyklus, der ein Heldenepos basierend auf der nordischen Mythologie zum Thema hat, insgesamt eine Aufführungsdauer von etwa 16 Stunden aufweist, idealerweise verteilt auf (mindestens) drei (Festspiel-)tage mit über 100 Orchestermusikern und eigens für das Werk erfundener Instrumente und ansonsten definitiv keiner weiteren erklärenden Worte bedarf, seit 1961, in seiner aktuellsten Version inszeniert unter der Regie von Markus Dietz, Oberspielleiter am Schauspiel .

Mit Götterdämmerung- Der Ring des Nibelungen – Dritter Tag, ist der Schmiedevorgang, der sich über zwei Spielzeiten erstreckte, definitiv abgeschlossen und das Werk kann ab dem nächsten Jahr als Ring- Zyklus aufgeführt werden.


Die Inszenierung

Auf den ersten Blick ist es nicht klar, ob es Steine oder Menschen sind, die da über die Bühne verteilt um eine große rechteckige Öffnung im Boden liegen. Als sich der Nebel lichtet und das Licht heller wird, sieht man, dass es die über 100 Statisten sind, die auch schon in den beiden drei Teilen des „Rings“ zu sehen waren und die in Unterwäsche um die orange ausgeleuchtete Öffnung, eine Art Krater, herum liegen, in den sie später herunterspringen, aus der Dampf kommt und die vereinzelt von echten Feuerquellen umgeben ist. Unter ihnen tummeln sich die drei Nornen (Marta Herman, Vero Miller und Doris Neidig) in weißen Perücken, Sonnenbrillen und Seidennegligées (Kostümbild: Henrike Bromber). Im Hintergrund thront das „Walhalla-W in Form“ einer großen Leuchtreklametafel über einer hohen Metallstreben-Gerüstkonstruktion (Bühnenbild: Mayke Hegger), die bereits in den anderen drei Teilen der Produktion Dreh-und Angelpunkt des Bühnenbildes war. Leuchtende Plattformen, die hoch und runter fahren lassen in wenigen Sekunden eine Art modern eingerichtetes Loft zum Vorschein kommen, auf dem Siegfried (Daniel Frank) und Brünnhilde (Kelly Cae Hogan) sich auf einem Kingsize-Bett herumwälzen. Siegfried, der aussieht wie der Bassist der Thrash-Metal-Band von nebenan, und als würde er seine Abenteuer höchstens einmal die Woche am Rollenspieltisch erleben, es aber irgendwie geschafft hat, eine „MILF“ wie Brünnhilde aufzureißen, soll zu neuen Heldentaten aufbrechen, scheitert aber bereits am Frühstück: Die Kaffeemaschine ist kaputt, den vollen Kühlschrank lässt er offen. Während sie ihm „einen vom Pferd (Grane) singt“ sucht er im Kühleschrank nach Essen, das er sich in den Armee-Rucksack stopfen kann. Nachdem er sich über das viele Obst geärgert hat, findet er doch noch seine Brotdose und nebenbei auch den Ring, der anscheinend ebenfalls im Kühlschrank aufbewahrt wird. Siegfrieds Schwert, Notung, das unterm Bett aufbewahrt wird sieht man seine Beschaffenheit aus Plastik zwar an, dennoch wirkt es in dieser minimalistischen Loft-Kulisse etwas fehl am Platz, ganz so wie Siegfrieds gesamte Erscheinung. Nun ist aber auch schon Grane, das edle Ross, zur Stelle und wird als solches besungen („nie sahst du ein Edleres...“) was in Anbetracht der Tatsache, das es sich bei Grane um einen Mann mit nacktem Oberkörper handelt, der an einer Leine um den Hals hereingeführt wird, mehr als albern wirkt. Die Lacher zumindest sind sicher...

 

 Das Geschlecht der Gibichungen-Banker

 

Nach dem nächsten Bühnenbildwechsel, der stets geschickt im Hintergrund von Statten geht so dass man ihn nicht sieht,

hat Siegfried es samt Plastikschwert, Rucksack und Fetischpferd in die Burg der Gibichungen geschafft, wo der Zuschauer als erstes die hinzugedichtete inzestuöse Beziehung der Geschwister Gunther (Hansung Yoo) und Gutrune (Jaclyn Bemudez) erlebt, bevor er Zeuge wird, wie Siegfried, völlig überwältigt von all dem modernen Juppy- Protz, der ihn in dieser Banker-Burg umgibt, erst mal unkontrolliert Fingerfood und Sahnetorte in sich hineinstopft, bevor ihm in Form einer Sauerei mit Blut und Wein der Liebestrank, der ihn Brünnhilde vergessen lassen soll, eingeflößt wird.

 

 Das Brünnhildenstein’sche Loft mit Walhalla-Überwachung

 

Nach einem weiteren Szenenwechsel mit Dampf und Feuer befinden wird uns wieder im Loft Brünnhildes, auf das von hinten die Götter vom Walhalla-Gerüst schauen, nachdem der Zuschauer mittels einer Videoprojektion mit Szenen aus eventuell den früheren Teilen der Tetralogie gelernt hat, dass Brünnhilde offensichtlich ein hinzugedichtetes Alkoholproblem hat.

Dann bekommt sie Besuch von ihrer Schwester Waldtraute mit der sie sich streitet. Mittlerweile sind alle Wanen bei ihr im Zimmer und Wotan schaut seinen Töchtern, wie so oft, von oben aus zu während auch Gunther in Form eines Videos rechts oben im Bild anwesend ist, bevor er völlig überraschend per Schockeffekt leibhaftig durch die Folie bricht und das Publikum in die erste der insgesamt zwei Pausen entlassen wird.

 

 Die Jagd im Maßanzug

 

In einem Wald aus Stühlen wird noch kurz die Geschichte erzählt, wie Hagen von Tronje seinen eigenen Vater, den Zwerg Alberich als Kind tötete, bevor die Intrige gegen Siegfried von ihm und Gunther gestartet wird, die in der Doppelhochzeit Siegfrieds mit Gutrune und Gunthers mit Brünnhilde endet.

Im schwarzen Anzug geht es also mit einer Gesellschaft in Form des Herrenchores zur Jagd (was haben diese Chorherren nicht schon alles im schwarzen Anzug getan...) angeführt von Hagens Autorität (Albert Pesendorfer), der sich leider nur stimmlich, aber nicht äußerlich vom Rest der Jagdgesellschaft abheben kann.

Ein Konfettiregen besiegelt die Intrige und die Schmach Brünnhildes, die sich dem Alkohol hingibt und Rache schwört.

 

 Die letzten Minuten Walhalls

 

Nach einer weiteren Pause hängt goldenes Lametta von der Decke und die Rheintöchter sitzen am Wasser in der Sonne. Dann findet die Jagd statt, bei der Hagen erst Siegfried und schließlich Gunther tötet und versucht, den Ring an sich zu nehmen. Das Morden geschieht in einem Durcheinander aus Lumpen und Kisten. Hinten vor offenem Bühnenraum tanzt derweil ein blutendes Waldvögelein ( Dalia Velandia) während vorn ein wirklich verdammt gruseliges Elfenwesen unter einem Schleier durch das Bild läuft, das sich unter den Statisten befunden hat. Der tote Siegfried wird von der Jagdgesellschaft mit Blazern zugedeckt, von denen er bald vollends begraben ist. Ein bezeichnendes Bild. Per Fluggeschirr wird er dann verkehrtherum nach Walhalla abtransportiert. Eine Art vorgezogenes Schlussbild bilden dann die Rheintöchter, Brünnhilde und der tote Siegfried, um den diese aufrichtig trauert, während hinten Walhalla inklusive Wotan zusieht; jetzt konkret dabei, wie die Letzte aus seinem Geschlecht in den Tod geht, denn Brünnhilde beschließt, dass der Ring ins Feuer und damit den Rheintöchtern bzw. der Natur, aus der er einst geraubt wurde, zurückgegeben werden soll. Dafür zündet sie (mit echtem Feuer) alles an, während Grane noch für ein paar letzte Lacher sorgt, bevor sie sich selbst in die Flammen legt.

Sechs Stunden Götterdämmerung sind geschafft, alles steht noch einmal für die Verbeugung auf, Brünnhilde geht mit einem Kind an der Hand ins Publikum und gibt einem Zuschauer in der ersten Reihe einen schlichten goldenen Ring in die Hand.


Das Fazit

Mit Götterdämmerung wie auch den anderen Teilen des „Rings“ auf die an dieser Stelle aber nicht eingegangen wird, bekommt der Zuschauer einen typischen „Dietz“ serviert. Der Stoff wird allem ästhetisch-musealen Ballasts seiner Entstehungszeit entledigt und liefert mit seinen minimalistischen klaren Formen und Bildern einen „modernen“ und „zeitgemäßen“ Zugang zu den Geschichten die die Werke des Musiktheaters erzählen, die er und sein Team inszenieren. So können die Menschen und ihre Motivation im Vordergrund stehen, kann die Personenführung tatsächlich führen, ohne, dass kitschiger Zierrat vom Sujet ablenkt. Soweit so (eigentlich) gut. Immerhin haben Dietz’ Interpretation von beispielsweise Puccinis Turandot oder auch Strauss’ Elektra (um nur zwei davon zu nennen) mehr als eindrucksvoll bewiesen, dass dieser Ansatz zusammen mit der dazu gewählten visuellen Ästhetik hervorragend funktionieren kann, solange die dadurch erzeugten Bilder Hand in Hand mit der Musik gehen und nicht lediglich ein Libretto, wenn auch durchaus treffend interpretiert, erzählt und dargestellt, wird.

 

Wenn nur die Musik nicht wäre ...

 

Dass eine Opern bzw. Musiktheaterinszenierung eine Interpretation einer Interpretation ist und darin ihre Herausforderung liegt, sollte allgemein bekannt sein. Denn Musik, wenn man sie als Sprache sieht, erzählt und das gerade bei Richard Wagner, eine eigene Geschichte (Stichwort „tönendes Schweigen“), die unterstützend zum Libretto sein kann, ihm (punktuell) diametral entgegenstehen oder sogar weitere Handlungsebenen möglich macht und die vor allem eines macht: Bilder malen mit Tönen, wenn man sich darauf einlässt. Diese „Bildsprache“ zieht sich durch das gesamte Werk. Der Rhein, der Wald, das alles hört man, sieht es aber nicht.

Stattdessen gibt die typischen Bilder wie die Gerüstkonstruktionen oder das Durchbrechen einer Papierwand wie schon in Elektra, was zwar ein netter Effekt ist, sich mit der Zeit aber abnutzt. Diese Bilder dominieren die Inszenierung, bei der Musik hingegen wird auf Reduktion gesetzt. So hat man beinahe das Gefühl, der Dirigent und Musikalischer Leiter der Produktion, Francesco Angelico dämme das Orchester absichtlich, so dass sich der volle Klang praktisch durchgängig nicht entfalten kann, fast so als hätte man Angst, dass der Wagner’sche Bombast und dessen Dynamik außerhalb des Opernhauses zu hören sein könnte weil ihn eventuell jemand als störend empfindet. So erreicht die Aufführung vielleicht den Verstand, aber nicht unbedingt das Herz.

„Ein Drama der Gegenwart und nicht eines der Vorzeit“ ist der Ring des Nibelungen. Das erkannten auch schon Wagner -Zeitgenossen wie Friedrich Nietzsche oder etwas später George Bernard Shaw. Siegfried als revolutionärer Idealist, der in die Fänge einer machtbesessenen kapitalistischen (Politk-)Elite gerät, für die er zum Werkzeug wird, ist ein gängiger Interpretationsansatz des Ring-Sujets, das verpackt ist in die Topoi der germanischen Mythologie und altdeutscher Heldensagen. Jedoch machen die Verwebung dieser Stoffe mit der auf sie abgestimmten und wie aus ihr entstandenen tonmalerischen Ästhetik ihren ganz eigenen Charakter, quasi ihren Geist, ihre Seele aus. Wagner fand für diese Stoffe und die Zeiten und Orte, aus der sie stammten eine eigene musikalische Sprache, die sich komplett unterscheiden sollte von der (italienischen) Oper, wie sie vor ihm strukturell und ästhetisch funktionierte. Bei aller Liebe für die (wichtige) Message eines Wagner-Stoffes, müssen Bilder gefunden werden, die die Musik nicht wie einen Fremdkörper wirken lassen, sondern sie wie einen Katalysator befeuern. Bei aller Aktualität ist „Der Ring des Nibelungen“ ein Fantasy-Stoff, eine Fabel, die gleichzeitig Märchen und Mythos ist und die eine Ästhetik braucht, die diesen Zauber, wenn man so will, nicht zerstört. Das schmälert weder seine Aussage noch schmälert es seine Aktualität. Im Gegenteil: weniger Konkretisierung würde es abstrakter machen, mehr Raum für die eigene Interpretation lassen. Denn nicht jeder möchte die Gibichungen als inzestuöse Banker oder Brünnhilde als Alkoholikerin sehen, denn diese hinzugedichteten Ebenen machen die Geschichte weder aktueller oder menschlicher, sie irritieren höchstens. Außerdem: Ist es wirklich notwendig, solche fast schon küchenpsychologischen Banalitäten in ein Werk einzubauen, dass zweifelsohne möglicherweise der erste Fantasy-Stoff der Geschichte war. Ja, Siegfried samt aller auch nur im Ansatz fantastisch wirkender Elemente ist ein Fremdkörper in einer Welt, die krampfhaft auf menschlich getrimmt wurde, aber muss diese so stereotyp sein, dass sie in manchen Bereichen fast der Lächerlichkeit preisgegeben wird?

Es müssen ja nicht gleich Flügelhelme oder Kunsttannen sein oder gleich ein komplettes Abkupfern vom „Herrn der Ringe“ (sic!), aber ein bisschen Zauber hat sicher noch nie geschadet, vor allem im Kampf gegen „die da oben“. Richard Wagner glaubte übrigens in seiner späteren Schaffenszeit daran, „den Verfall der Menschheit“ mit Hilfe der Kunst aufhalten zu können. Schließen wir ihn nicht aus seinem eigenen Werk aus.


Götterdämmerung

von Richard Wagner 

am Staatstheater Kassel Spielzeit 2019/20

besuchte Aufführung : 07.03.2020 (Premiere)

Spielort: Opernhaus

Wiederaufnahme: 16.05.2021

Weitere Informationen hier


Kommentare: 2
  • #2

    Admin (Mittwoch, 26 Juli 2023 15:37)

    @Arthur Jones:
    Vielen Dank für den Hinweis, der Fehler wurde korrigiert. Albert Pesendorfer hatte die Partie des Hagen vor mehr als drei Jahren in Kassel gesungen, Stephen Milling hatte die Rolle kurz davor in Bayreuth verkörpert. Solche Fehler kommen vor, wenn man es mit vielen Namen zu tun hat, man kann aber auch sachlich darauf hinweisen.

  • #1

    Arthur Jones (Sonntag, 11 Juni 2023 08:47)

    Hinweis:
    Stephen Milling hat niemalpin Kassel den Hagen gesungen. Wie kommen Sie darauf, so einen Unsinn zu schreiben???