Die lustigen Weiber von Windsor am Staatstheater Kassel Kritik

Shakespear'sche Phantastik in der "Schützenfesthölle"


Symbolbild (c)pixabay/jamallva
Symbolbild (c)pixabay/jamallva

"Liebesgetändel und Liebesbetrug inmitten frisch geschnittener Hecken und spießbürgerlicher Kleingartenmentalität".

 

So bewirbt das Staatstheater Kassel seine 2017er Inszenierung. Dass die Komödie als die Königsdisziplin aller Gattungen gilt, kommt nicht von ungefähr. Im Falle von Otto Nicolais "Die Lustigen Weiber von Windsor"  haben wir es gattungstechnisch mit einer deutschen Spieloper, einer Komödie im bürgerlichen Milieu mit Nummern und Dialogen, zu tun. Das Sujet spielt im 19. Jahrhundert in der Biedermeierzeit und kann demnach als eine Art Sittengemälde dieser Zeit gesehen werden. Was also tun mit spießbürgerlicher Biedermeiermanier im 21. Jahrhundert? Das Übertragen eines solchen Sittenbildes in die moderne Zeit kann schnell krampfig und bemüht wirken, besonders, wenn es sich um einen komischen Stoff handelt. Die Regisseurin Sonja Trebes und ihr Team übertragen die spießbürgerliche Folie vom Deutschland der Biedermeierzeit auf eine moderne Kleingartensiedlung mit integrierter Schützenfesthölle, wie sie plakativer nicht sein könnte und machen so aus der komischen Oper des 19. Jahrhunderts eine Comedy(!) des 20/21. Jahrhunderts wie sie treffender nicht zur besten Sendezeit im TV laufen würde. Es kommen Assoziationen zu "Die Camper" oder anderen RTL-Comedy-Formaten auf.

 

Eigentlich ist Sir Falstaff ein dicker Mann, der sich mit seiner Aktion eigentlich nur blamieren kann, eine tragische Figur eben. In dieser Inszenierung ist er ein junger, gutaussehender Typ, der die bürgerliche Welt, in die er eindringt, ins Wanken bringt. Keinen Moment ist er peinlich, sondern nur die anderen. Die Ehepaare Reich und Fluth, die Galane von Anna, alle Figuren in dieser Inszenierung sind klischeehaft überspitzt. Die spießige Frau Fluth und ihr Konterpart, die schrille Frau Reich samt alternativer schwarz angehauchter Tochter Anna erfüllen sämtliche Klischees, ebenso wie ihre Männer (Marc-Olivier Oetterli ist als Herr Reich mit Gummihalbglatze und Karo-Pullunder fast nicht zu erkennen). An den übrigen Bewohnern der Kleingartensiedlung konnte sich Kostümbildnerin Jula Reindell allerdings richtig austoben und übertraf sich neben all den authentischen Imkern (!), Polizisten, Ärzten oder Jägern nur selbst bei einer Dame des Opernchores die neben Leo-Hose und Kittelschürze in Kombination den ultimativen Vokuhila des Grauen auf dem Kopf spazieren führt – und das auch noch in Rotbraun!!

 Ein weiterer Grund für den hohen Unterhaltungswert der Lustigen Weiber von Widsor ist das von Dirk Becker bis ins kleinste Detail großartig klischeehaft ausgestattete Bühnenbild. Seien es nun Sol-Eier im Langnesekiosk, oder die Skatrunde der Männer in der Garage, die sich in der Hecke versteckt hat, Highheels und das Negligé, die Frau Fluth geshoppt hat, oder der Gugelhupf den sie den Schützen kredenzt, als die unter der Führung des wutentbrannten sich gehörnt glaubenden Herrn Fluth in Mission-Impossible-Manier das Haus umstellen. Besser hätte man die Bühne nicht ausstatten können, ganz sicher.

 

Aber auch die Sänger verkörpern ihre Rollen ausgesprochen unterhaltsam. Neben einer darstellerisch durch – und durch überzeugenden Frau Reich (Marie-Luise Dreßen) sorgt der einmal als Frau verkleidete Sir Falstaff tuntig-derb für Lachsalven. Als dann Frau Fluth aus dieser Groteske ausbrechend, ganz surreal die Szene anhält, und es in den Wald zur Jagd geht, verlieren die Figuren  sich in einem Labyrinth aus sich bewegenden Hecken und in geisterhafter Atmosphäre. Zwischen diesen Hecken führen die Figuren dann einen shakespearschen Liebesreigen auf, bei dem sich die Nebenhandlung der Oper, das Werben der drei Galane um Anna schlussendlich entscheidet. Und sie entscheidet sich für Fenton, den dichtenden Hipster und lässt die beiden Anzugschnösel links liegen, die aber von vornherein sowieso eher aufeinander abfuhren als auf Anna, die Möchtegernrockerin. Wer hätte angesichts dieser Auswahl nicht dasselbe getan?!

 Nachdem dann jeder Topf seinen Deckel gefunden hat, und auch sonst alles wieder gut zu sein scheint, endet die Oper wie sie begann. Ein in Zimmermannshose und Feinrippunterhemd gekleideter Sir Falstaff verteilt Liebesbriefe, diesmal aber an das Publikum.


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