Die drei Musketiere bleiben zuhause


„Ich hätt’ s ja mit Zoom gemacht ...“– Versuch einer Aufführung auf Skype


Symbolbild©pixabay/viarami
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Das Home-Office geht an der Realität der meisten Berufsgruppen vorbei. Das kann man so festhalten. Eine dieser Berufsgruppen ist der Schauspieler. Auch die Besetzung von „Die drei Musketiere (nach Alexandre Dumas in einer Bearbeitung von Antonio Latella und Federico Bellini)“, das bis zum Lockdown im März noch am Münchner Residenztheater aufgeführt wurde, musste ihren Probenbetrieb ins Home-Office verlegen. In Form eines „Making of mit Techniktücken“ versuchen (!) die Akteure (Elias Eilinghoff, Vincent Glander, Nicola Mastroberardino und Michael Wächter) am Bildschirm zu spielen. Dabei entscheiden die vier Ensemblemitglieder sich für den Instant-Messaging-Dienst „Skype“. Entstanden ist ein 47-minütiges Video, seit Ende April 2020 jederzeit abrufbar über den Youtube-Kanal des Residenztheaters.


Die drei Musketiere bleiben zuhause - Das Video

Die vier Schauspieler sind auf vier Bildschirmen simultan zu sehen, während sie sich in ihren jeweiligen Häusern/Wohnungen befinden. Man sieht verschiedene Hintergründe; der eine hält sich im Wohnzimmer auf, der anderen in der Küche und so weiter.

Gleich zu Anfang gibt es noch einen Screenshot der „eigentlichen“ Inszenierung, um sich ein Bild von Bühne und Kostümbild machen zu können, bevor die Vier eine der grundlegenden Fragen stellen, die im Raum stehen: „Was kann man damit erzählen?“ Mit diesem Versuche einer Aufführung, bei an diesem Punkt weder Form noch Inhalt noch Ablauf, geschweige denn Gelingen klar sind. So dienen dann auch die anfänglichen Überlegungen dem wie sie die Sache angehen sollen („Drüber reden?! Vielmehr kann man ja nicht machen....). Verschiedene Einstellungen und Formate werden probiert, bevor eine Fechteinlage versucht wird. Der Tenor schon nach kurzer Zeit: Vier Männer blödeln rum. Dennoch: Es wird gemeinsam überlegt, wie fehlende Requisiten oder Technik kompensiert werden können, mit dem was zuhause da ist, sei es nun eine Lichtschwert-App oder ein Küchenmesser. Technik ist auch eines der grundlegenden Probleme, die sich wie ein roter Faden durch den digitalen Proben- oder Aufführungsversuch ziehen. Schnell kommen Akku-Probleme und die generelle Überlegung, ob man mit Skype überhaupt auf den richtigen Messenger gesetzt hat („Ich hätt’s ja mit Zoom gemacht...“) hinzu, bevor die ersten Relativierungen und Selbstzweifel, die sich bereits angedeutet haben, längere Zeit die Stimmung der Schauspieler dominieren, die später sogar ganz kippt („Man sagt es geht nicht und dann machen es die vier Idioten trotzdem“, „Es wird uns nie und nimmer gelingen, dieses Stück zu spielen“, „Zeigen, dass es nicht geht, ist nach zehn Sekunden nicht mehr zu ertragen“, „Einfach nur Horror“) und der eine überforderte Erklärungsnot folgt („Wir machen ja nicht das ganze Stück“, „Es ist ja allen klar, dass das kein Ersatz ist, auch wenn’s alle machen...“) die mitunter sogar in trotzig-aggressives Rechtfertigen mündet („Dann guck halt was anderes!“).

 Die Hauptursache dafür ist neben dem Frust über die Technik wie etwa einem hängenden Bild oder Tonstörungen vor allem die Unmöglichkeit des tatsächlichen Zusammenspiels, das auf absolute zeitliche und räumliche Übereinstimmung angewiesen ist. Probleme mit Synchronität und Timing, beispielsweise ganz konkret in Bezug auf chorisches Sprechen, sind im Wesentlichen der Grund, warum das Ganze einfach nicht anlaufen will und das sollte eigentlich für niemanden eine Überraschung sein(„Wir kriegen es einfach nicht synchron.“, „Der Abend besteht halt hauptsächlich aus diesen Kunststücken die auf Synchronität basieren und viel Übung.“, „Es wäre auch komisch, wenn es doch ginge.“)Eine weitere, nicht unerhebliche Geißel des Probenerfolges ist die der Disziplin. Eingesperrt in die eigenen vier Wände mit ihrer Vielzahl an Ablenkungsmöglichkeiten einerseits und ihrer Behinderung der Arbeitsmoral andererseits entsteht ein Nährboden jegliche Produktivität geradezu behindern MUSS („Die drei Musketiere versuchen etwas zu machen“).

Immer wieder rutschen die Vier von der Arbeitsebene in die Privatebene, ist doch der Griff zum Handy, zur Zigarette, zur Pepsi oder gar zur Whiskey-Flasche („Ist doch nach 17:30.“) schneller getan als im Theater, schließlich ist man zuhause und kann mal eben den Raum wechseln. Immer wieder müssen sie sich gegenseitig disziplinieren („Mehr machen und weniger reden“). Auch in der Aktion miteinander vermischen sich die Ebenen. So ist nicht immer klar, wann die Schauspieler als Figuren sprechen oder als Privatpersonen (ab und an wird in den privaten Dialekt verfallen), oder was Inszenierung und was Improvisation oder gar privates Rumalbern ist. So entsteht ein regelrechter Kampf um das Stück auf einer noch ganz anderen Ebene, was sonst nur ein Duell mit dem Stoff ist. Man schaut in müde, erschöpfte, desillusionierte, genervte und vor allem ratlose Gesichter. Da hilft dann nur noch die Taktik des Schönredens („Nichts vom Stück zeigen, damit man denkt, ich hätt’s gern gesehen“, „Niemand erwartet, dass das eine Inszenierung wird“)und ein Anflug von Konstruktivität(„Wir könnten versuchen zu tanzen“) und jeder hopst sich in seinem Bildausschnitt zum Radetzki-Marsch ein wenig frei. Das klappt neben Singen und einem kurzen zweier Dialog tatsächlich noch mit am Besten.

Nach fast einer Stunde Frust und Ausprobieren, jedoch nicht ohne Resümee und etliche Erkenntnisse, endet das Experiment. Ohne „echtes Fleischpublikum“, relativ plötzlich und irgendwie ratlos. Bei einem der Schauspieler gibt es immerhin gleich Gulasch.


Fazit

Symbolbild©pixabay/viarami
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 „Die drei Musketiere bleiben zuhause- Der Versuch einer Aufführung“ zeigt exemplarisch das Problem der Übertragung des Mediums Theater auf die virtuelle Ebene und wirkt dabei wie ein Katalysator oder Brennglas für all das was notwendig ist und jetzt fehlt, damit die Kunstform Theater ihrer Definition nach eben genau dies ist. Wenn eine Theateraufführung in den virtuellen Raum verlegt wird bzw. in einen Raum der nicht einmal als Bühnen bzw. als Aufführungsraum geeignet ist, weil er nicht die Voraussetzungen schafft, die für ein (gutes) Gelingen und reibungsloses Ineinandergreifen der einzelnen Parameter einer Aufführung notwendig sind, kann eine Inszenierung, bei deren Konzeption diese Probleme nicht bedacht wurden, nicht so durchgeführt werden, wie geplant.

 

Theorie und Praxis

 

Die Inszenierung „Die drei Musketiere“ speziell ist eine sehr von Körperlichkeit und Timing bestimmte mit Elementen von Tanz, Gesang, Bewegung und auch auf visueller Ebene durch auffällige Kostüme in einem sonst fast leeren Bühnenraum. Ihre Dynamik braucht den Raum, die Farben, das Licht und die Musik um so zu funktionieren und beim Zuschauer anzukommen wie sie gedacht ist. Sonst ist die Kommunikation gestört, nicht zwischen Zuschauer und Schauspieler, sondern auch zwischen den Schauspielern untereinander („Wie soll das gehen, wenn man sich nicht spürt und ich nicht den anderen neben mir habe?“, „Es lebt vom Zusammen, vom Auf-der-Bühne-Stehen.“). Über allem steht das Problem des Reagieren uns das (Inter-)Agierens. Dadurch, dass sich nicht alle vier Männer physisch im selben Raum befinden, sondern an unterschiedlichen Orten und sich lediglich auf dem Bildschirm sehen können und das in einer beschränkten Art und Weise, ist es beispielsweise unmöglich auf einen Impuls hin auszuweichen (wie es bei der Fechtchoreografie der Fall wäre), wenn der Impuls – nicht einmal imaginär! – im eigenen Raum ankommt. Zwar ist es möglich, einen Abgang zu simulieren, in dem man aus dem Bildausschnitt rausgeht, aber sämtliche Gänge und Wege in den Raum hinein können nicht gezeigt werden.

 

Elementarer Erkenntnisgewinn

 

Neben den schonungslosen Offenlegung sämtlicher Probleme und Tücken gewinnen die Schauspieler und mit ihnen automatisch auch die Zuschauer elementare Erkenntnisse in Bezug auf die Rahmenbedingungen und Elemente, die Theater bzw. eine Aufführung brauchen und diese überhaupt erst möglich machen.

Auch elementare Grundregeln des Schauspiels müssen gebrochen werden, um überhaupt etwas hinzubekommen („Man darf jetzt im Gegensatz zu sonst auf gar keinen Fall auf die Kollegen Acht geben“), denn der gemeinsame Einsatz kann durch mittels „mathematischer Berechnung“ gelingen und nicht wie normal mittels Zuhören.

Auch die Sinnfrage steht irgendwann deutlich im Raum, denn mit Schauspiel oder Theater das dieses virtuelle Experiment kaum etwas zu tun („Ich vermisse meinen Beruf und das gibt mir das nicht“, „Das ist nur geil mit echten Fleischpublikum, Leute die WIRKLICH da sind“) was darüberhinaus bis hin zu Gedanken über das Problem der Existenzberechtigung des Theaters im Gesamtbild mündet („Mit so einer Nummer kriegt man aber auch ganz schnell den Staatstheaterstatus aberkannt“) und unbewusst einen ganz neuen Problemhorizont, nicht nur vor dem Hintergrund der aktuellen Situation, eröffnet. Aus einem professionellen Bühnenschauspieler wird hier gezwungenermaßen ein Youtuber wider Willen. Und das ist nicht das einzige, das vielleicht übel aufstoßen könnte.

 

Als Substitut eher ungeeignet

 

Die Grundaussage der Inszenierung „Die drei Musketiere die eigentlich vier sind, treten auf und denken über ihr Alleinsein nach“ bekommt vor diesem Hintergrund zwar immerhin eine völlig neue Bedeutungsebene, genauso wie aus dem Duell mit dem Stoff in der Video-Konferenz unbeabsichtigt ein Kampf um das Stück wird.

Die Reaktionen auf dieses Machtwerk sind allesamt positiv, zumindest unter der Prämisse, dass es jedem klar sein sollte, das es nie und nimmer die Aufführung ersetzen kann und das auch nicht möchte. Als amüsantes, kurzweiliges und durchaus unterhaltendes Bonus-Material mit „gutem Schnitt“ taugt es allemal, zumindest wenn man die Inszenierung schon kennt. Außerdem schafft es als „bisher unterhaltsamstes Video in der Isolation“ eine gewisse Vorfreude auf ein „baldiges Wiedersehen“.


Symbolbild©pixabay/geralt
Symbolbild©pixabay/geralt

Das Format der „klassischen“ Aufführung eines inszenierten Stoffes eignet also keinesfalls für ein Verlagerung ins Homeoffice, auch nicht zum Proben, weil die zeitliche und räumliche Gleichzeitigkeit von Ausführendem und Rezipienten im ersten Fall nur bedingt und im zweiten gar nicht gegeben ist. Als Youtuber wider willen haben die vier Schauspieler außerdem das Problem, das alles an ihnen hängt. Andere haben immerhin Führung („Die eingebildeten Kranken machen dasselbe in Grün, aber die haben auch noch ne Regisseurin“) aber trotzdem allem nicht die Technik, die im mindesten notwendig wäre, um ein befriedigendes Ergebnis zu erzielen, was am Ende an ihnen hängt („Wir haben als Schauspieler die Arschkarte wegen des Bild und Tonproblemes“), sie aber nie und nimmer leisten können und auch nicht sollten.


Weitere Informationen:

Die drei Musketiere bleiben Zuhause

ein Experiment von Ensemblemitgliedern

des Residenztheaters München Spielzeit 2020/21


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