"Um zu feiern schöne Feste,
braucht man liebenswerte Gäste.
Drum lade ich Euch ein, am 13.7.18,
um 19:00 Uhr im Hotel Hansen meine Gäste zu sein.
(Aftershowparty am 14.7.18 um 19:00 Uhr)"
Wenn man als Theaterbesucher schon eine solche Eintrittskarte in die Hand gedrückt bekommt, dann weiß man die Verantwortlichen haben sich Gedanken gemacht über Konzept, Struktur und Rahmen.
Und prompt ist man irgendwie selbst Teil der Inszenierung, spätensten wenn "DJ Jochen", der später auch noch für Ton und Licht verantwortlich ist, einen im Foyer mit den Hits der 60er bis 80er empfängt.
"Das Fest", die Abschlussproduktion des vierten Semesters der Schauspielschule Kassel ist von Regisseur Sebastian Rückert die vierte Wand durchbrechend bis ins kleinste Detail durchgeplant. Sowas mag ich.
Weiter geht es, als ich mich auf den Weg zu meinen Platz mache. Ich befinde mich in einer Art imaginären Gasse, in der bereits angeheiterte Partygäste zu mir sprechen.
An dieser Stelle hat die Inszenierung auch einen Simultanbühnencharakter, denn ich platze mitten in die letzten Partyvorbereitungen, die parallel zur Gassenszene auf der Bühne stattfinden. Ein Stuhl in den Rängen des Dock 4- Deck1 ist reserviert und mit Luftschlangen behängt. Die letzte Deko wird noch aufgehangen, bevor das Licht ausgeht und los geht die Aufführung mit dem Billy Joel-Song "Uptown Girl".
"Das Fest" von Thomas Vinterberg / Mogens Rukov ist ein dänischer Spielfilm, der von dem Aufdecken des sexuellen Missbrauchs eines Vaters an zweien seiner Kinder handelt. Das Drehbuch des Films wurde auch für das Theater adaptiert.
Vater Helge Klingenfeldt-Hansen feiert seinen runden Geburtstag. Dazu hat er Verwandte und Freunde auf den Familiensitz eingeladen. Auch Helges Kinder, die mehr oder weniger erfolgreich teilweise mittlerweile im Ausland zu Hause sind, sind gekommen. Nur Tochter Linda kommt nicht - sie hat kürzlich Selbstmord begangen.
Sohn Christian hält die angespannte Situation nicht mehr aus. Durch den Suizid seiner Zwillingsschwester kommt die Erinnerung an den sexuellen Missbrauch durch
seinen Vater in ihm hoch, dem auch Linda zum Opfer gefallen ist. Nach und nach öffnet Christian ein Fass nach dem anderen und bringt so die Wahrheit ans Licht. Die Festgemeinschaft bzw. die
Familie spaltet sich daraufhin in zwei Lager: Das Personal glaubt ihm, weil es von den zurückliegenden Vorfällen weiß oder ahnt. Die Gäste hingegen wollen den Schein des normalen Familienalltags
wahren und verdrängen die Wahrheit. Daraus entstehen weitere Konflikte; Christian wird nicht geglaubt und er wird als Verrückter hingestellt. Das Blatt wendet sich, als Lindas gefundener
Abschiedsbrief von Schwester Helene, ermutigt durch Christian und die Dienstboten, vor der gesamten Festgesellschaft vorgelesen wird. Jetzt kann keiner mehr verleugnen und verdrängen. Am nächsten
Morgen gesteht Helge dann ein, was er getan hat und verlässt den Festsaal - ohne seine Frau, die sich nun auch von ihm abwendet.
Relativ schnell ist das Rätsel um den reservierten und mit Partydeko geschmückten Stuhl in der ersten Reihe gelöst. Jubilar Helge wird in Laufe der Aufführung darauf Platz nehmen und die Party teilweise aus derselben Perspektive wie der Zuschauer betrachten - so auch die Anreise der Gäste. Die ersten sind Sohn Christian (Philip Heines), Sohn Michael (Pascal Hettler) und dessen Gattin (Martha Angel Gräbenitz) nebst Baby. Michael, ein prolliges Ekelpaket, zeigt sogleich, was für ein Charakter er ist, indem er seine schwangere Frau den schweren Koffer schleppen lässt. Nach Schwester Helene (Lea Martina Hübner) rauscht Tante Lotti (Antonia Leonie Kohlstedt) sächselnd und gutgelaunt in das Anwesen der Klingenfeldt-Hansens. Im Gepäck hat sie nicht nur "Trüffel aus Konsum, nicht aus Aldi Ost", sondern auch drei Pappaufsteller ohne Kopf. Hier haben wir dann eine der Regieideen, die auf eine unglaublich komische und geniale Art und Weise zum Einen das Problem lösen, weniger Darsteller als Rollen zur Verfügung zu haben und zum Anderen das Problem, wenn diese Rollen dann aufgrund der gleichzeitigen Anwesenheit der Figuren nicht von einem Schauspieler besetzt werden können. Von einem solchen Pappaufsteller dargestellt werden Bent und Paul, die Freunde des Jubilars Helge sowie der Opa. Eine Erweiterung dieser Technik ist es, dass eine Pappaufsteller-Figur nicht nur von einem Schauspieler bedient wird, sondern je nach Personenkonstellation von mehreren. So leihen Antonia Leonie Kohlstedt, Layla Middeke und Natalie Nowak den Pappaufstellerrollen Bent und Paul Stimme und Kopf. Auch den Opa darf jeder mal spielen. Die Rollenanlage der Figuren bleibt dabei trotz bisweilen rasantem Darstellerwechsel erstaunlich stringent. Eine Doppelrolle hingegen bietet sich im Falle der Figuren Else, der Mutter und Mette, der Frau von Michael an, beide verkörpert von Martha Angel Gräbenitz. Ein weiteres durchgehendes Stilmittel der Regie ist die Fähigkeit Helges, tanzend und singend zu den Hits der 60er bis 80er Figuren in den Freeze zu bringen, um dann irrwitzige Standbilder auszulösen, an die er gutgelaunt selbst Hand anlegt, um so die nächste Szene auf die Bühne zu bringen. "Man soll sich in das Leben seiner Kinder nicht einmischen, zuschauen kann man schon", sagt er dann nach getaner Arbeit. Durch das Stück zieht sich der Groll von Sohn Christian und steht in starkem Konstrast zu der oberflächlich fröhlich-zwanglosen Partystimmung, glaubhaft gespielt von Philip Heines. Ein Fass nach dem anderen macht er auf und explodiert. Aber auf ein "Du hast mich missbraucht" von Christian folgt ein "Du warst schon immer irre" von Helge und es geht weiter, sowohl mit Hilfe und Verständnis der Dienstboten als auch mit Ignoranz seitens Gästen und Familie. Ein Regietrick ist es, die gemeinsamen Malzeiten der Familie als Mauerschau zu inszenieren. Sie passieren im Off, während vorn auf der Bühne an den Stehtischen tapfer von den Pappaufstellern die Party am Laufen gehalten wird. Die Familie scheint nicht einmal an einem Tisch sitzen zu können. Die Inszenierung bedient sich vieler surrealer Elemente. So hat das Frauenschlagen zu "Candy-Girl" eine ganz eigene Komik und die Wrestling-Schlägerei zwischen Michael, Helene und Said wirkt völlig absurd. Einen Kontrast dazu bildet wiederum der Gewaltkonflikt zwischen Michael und Christian, der realistisch und packend inszeniert ist, verstärkt durch das Singen der Gäste von "Die Gedanken sind frei". Auch hart an der Grenze ist die Diskriminierung von Helenes Freund. Im Film ist er ein schwarzer Afrikaner und heißt Gbatokai, in der Inszenierung Sebastian Rückerts ein Moslem namens Said, verkörpert von Lukas Robin Dörr. Auf seine Kosten wird ein Spotlied über Türken und ihre angebliche "Liebe" zu Huftieren zum Besten gegeben und Said macht begeistert mit, denn er versteht ja kein Wort. Helene hält das nicht aus und bricht zusammen. An dieser Stelle ist sie näher an Christian, kann nicht länger verdrängen, was in dieser Familie los ist und leitet den Klimax mit dem Brief, in dem Linda ihren Selbstmord ankündigt, ein. Deren Stimme ertönt aus dem Off und sorgt mit entsprechendem Licht für Gänsehaut. Danach befindet sich auch Christian in einem surrealen Partytraum mit den Dienstboten und lässt sich mitreißen. Doch alles ist tatsächlich passiert, die weinende Mutter Else, die die Party verlässt, während Michael seinen Vater verprügelt, auch wenn das Frühstück am nächsten Morgen sich wieder um Normalität bemüht. "Die Familie ist kaputt".
Trotz meist richtig gut zündender Gags bleibt einem das Lachen am Ende im Halse stecken. Der rote Faden von Christians Tragik zieht sich wie in roter Faden durch
die Inszenierung und bildet einen Kontrast zu den vielen absurden und teilweise surrealen komischen Elementen. Auch schafft es die Regie, die Charaktere als Menschen mit eigenen Motiven zu zeigen
und nicht ein Gut-und-Böse-Weltbild zu propagieren, wo die Inszenierung dicht am Film bleibt. Dennoch ist "Das Fest" unter der Regie Sebastian Rückerts mit den Studierenden der Schauspielschule
Kassel ein gelungenes eigenes Werk, dass sich Impulse aus der Filmvorlage holt, dem Plot folgt und gut eigene Ideen der inszenatorischen Umsetzung einbringt. Dazu trägt vor allem auch der Rahmen
bei, in den das Stück eingebettet ist und der Teil der Inszenierung ist. Das Programmheft, das man mit auf den Weg bekommt, ist in Form einer Danksagung für das Ausrichten des Festes gestaltet.
Da wird dann auch dem Zuschauer gedankt, fürs "Kommen, Trinken und Feiern".
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