Kritik Complete Works:                      Table Top Shakespeare - As you like it


DER TISCH IST EINE BÜHNE


Eine Rückkehr zu den Wurzeln des Theaters in Bezug auf den reinen Akt des Geschichtenerzählens hingegen schafft die Kompanie Forced Entertainment aus dem englischen Sheffield. 1984 gegründet, steht das sechsköpfige Kern-Ensemble unter der Leitung von Tim Etchells für unverwechselbares, spielerisches und hochreflektiertes Theater. Mit Arbeiten aus den Bereichen Theater, Performance, Installation, digitale Medien und Film sind Forced Entertainment Vorreiter des europäischen Experimentaltheaters und seit vielen Jahren mit dem interdisziplinären choreografischen Zentrum PACT Zollverein in Essen verbunden, ihn deren Programm sie ihre Produktion „Complete Works: Table Top Shakespeare“ in einer speziellen „At home“- Version im Spätherbst 2020 aufführen.


Complete Works.: Table Top Shakespeare - DIE Reihe


Symbolbild©pixabay/chansonchyril
Symbolbild©pixabay/chansonchyril

Mit der 36-teiligen Reihe „Complete Works.: Table Top Shakespeare“ werden alle Dramen Shakespeares auf ihren Plot heruntergebrochen und mit Gegenständen des täglichen Lebens nachgestellt bzw. nacherzählt/zusammengefasst. Diese dienen dabei als Ersatz für die Figuren, während die leere Tischplatte als Bühne fungiert. So kann der Fokus auf Narrativ und Sprache liegen; die leere Bühne, das „wooden O“, lässt Platz für die eigene Phantasie. Spielerisch und mit einfachsten Mitteln werden so die Plot-Mechanismen freigelegt und dem Zuschauer verständlich gemacht, ebenso die Strukturen die Shakespeare nutzt. Es entstehen schematische Versionen der Stücke, die fast wie Puppenspiele wider Willen anmuten.

Die einzelnen Episoden dauern jeweils durchschnittlich zwischen 45 und 60 Minuten anstelle der üblichen zweieinhalb Stunden Stücklänge und werden jeweils von einem der sechs Ensemble-Mitglieder auf die Bühne gebracht.

Seit ihrer Premiere im Jahr 2015 wurde die Produktion in 12 Ländern gespielt und ist anlässlich des Lockdowns in einer neu arrangierten „At home“-Edition erschienen, bei der die Spieler nicht wie üblich auf einer Bühne vor Zuschauern am Tisch sitzen und mit einer Auswahl an Objekten hantieren, sondern am heimischen (Küchen-) Tisch, wobei die Gegenständen allesamt aus dem eigenen Haushalt stammen, was die Geschichten noch einmal um einiges kleiner macht bzw. verdichtet. Per Live-Stream über einen Zeitraum von neun Wochen zum Zuschauer in DESSEN eigene vier Wände geschickt, oder eben dahin, wo dieser gerade mit seinem Endgerät, sei es nun mobil oder nicht, sitzt. Bei ihrer „Premiere“ sind die Streams live (wenn das Telefon im Hintergrund klingelt, klingelt es) bevor sie als Video auf dem Youtube-Kanal von Forced Entertainment weiterhin angeboten werden, der Link dazu ist auf der PACT-Zollverein-Website zu finden.


As you like it (Wie es euch gefällt) - Die Performance


Als Nr. 29 von 36 ist am siebten November 2020 die pastorale Komödie As you like it (Wie es euch gefällt) an der Reihe. In einem kurzen Intro stellt der Performer des heutigen Abends, Robin Arthur, ein mittelalter Herr in grauem Sweater und dicker Brille, sowohl sich selbst aus auch das Konzept der Produktion erst einmal vor („Mein Name ist Robin Arthur und das ist meine Küche“) bevor er mit seiner Performance beginnt. Im Hintergrund ein beiger Holztisch, einige Barhocker, graue Fliesen und jede Menge herumstehende Küchenutensilien. Noch kann man sich kaum vorstellen, dass dort innerhalb der nächsten Stunde ein Shakespeare über die Bühne bzw. über den „Tisch“ gehen soll. Während das Bild etwas wackelt und verschwimmt, stellt Arthur eine Bierflasche und eine Dose auf den Tisch. Die erste Szene zwischen Oliver und dem Diener Old Adam beginnt. Arthur schaut abwechselnd zwischen Flasche und Kamera hin und her. Orlandos Bruder Oliver betritt den Tisch in Form einer Ölflasche von links bevor Wrestler Charles in Form einer Dose (einer anderen als zuvor Old Adam) seinen Auftritt hat. Arthur, der seine Stimme subtil moduliert, während er erzählt, hält die Gegenstände währenddessen eher wie Requisiten, als wenn er durch sie die Dialoge spricht. Jeder Szenenwechsel macht ein vollständiges Leerräumen des Tisches erforderlich. Einige Szenen minimal im Ablauf vertauscht, geht Performer Arthur das Stück chronologisch, aber gestrafft, durch, und benutzt beim Nacherzählen eigene Worte und eine moderne Sprache. Sein Sprachduktus reicht dabei von leidenschaftlichen und lebhaften Zwiegesprächen mit beispielsweise der Oliver-Flasche bis hin zu typisch trockenen Anwandlungen britischen Humors, wenn er etwas kommentiert, eine Erzählung im Stück stellt Arthur subtil mimisch und gestisch da mit Blick nach vorn, während neben ihm die Dosen stehen. Sein Spiel erfolgt mit und durch die Gegenstände. Man sieht Arthur an, dass er Spaß hat, wenn er ernsthaft mit der Dose spricht. Nach einer Stunde und acht Minuten verbeugt er sich dezent, bedankt sich fürs Zusehen und weist auf die nächste Episode und das Zoom-Q&A auf der fft-website hin, das dem Zuschauer im Anschluss an die Performance angeboten wird.


Symbolbild©pixabay/chansoncyril
Symbolbild©pixabay/chansoncyril

Die Cousinen Rosalind und Celia als Shampoo bzw. Duschgelflaschen, begleitet von Narr Touchstone in Form einer Bohnendose, Schäferin Phoebe dargestellt mit einer hüpfenden Zahnpastatube oder kleine Pappbecher für die Hochzeitsgesellschaft sowie sämtliche andere Statisten, aufgestellt und Grüppchen: Bei der Wahl der Gegenstände, entnommen aus Bad und Küche des Performers kommt durchaus die Frage auf, ob die Auswahl mehr Methode hat als einfach nur einen physischen Stellvertreter zu definieren, um den Überblick zu behalten, wer sich gerade auf der Szene befindet, sondern auch Kommentar des Performers ist, durch dessen Augen der Zuschauer den Plot sieht in dessen Stil die Performance gehalten ist. Arthur beispielsweise löst das „Problem“ des Verkleidens auf offener Bühne, indem er die Flaschen im Fall von Celia und Rosalind einfach herumdreht, wenn sie als Aliena und Ganymed im Wald von Arden unterwegs sind oder er verweist mit einem Vierte-Wand-Bruch auf die damalige Tradition des Boy-Actors. So entstehen mitunter komische Kollisionen zwischen den profanen Objekten und dem Duktus literarischer Hochkultur, der den Shakespeare-Dramen anhaftet.


Fazit


Symbolbild
Symbolbild©Pixabay/Kaboompics

Wenn das Theater in die eigenen vier Wände verlegt werden muss, trifft Hochkultur auf Alltagsbanalität, denn was erst auf die Bühne gebracht werden muss, hat die heimische Küche sowieso zu bieten. Minimalisiert auf das Wesentliche, frei von jeglichen ausstattungstechnischen Elementen wie Requisiten oder Bühnenbildelementen, kann der Fokus auf dem Plot liegen, nacherzählt von einem Performer, am Tisch sitzend mit Alltagsgegenständen als Platzhalter für die Figuren. Bedenkt man, dass Shakespeares Dramen reiner - wenn auch sprachlich durchaus hochgestochener – Dialog sind, ohne Regieanweisungen und dergleichen, also lediglich Handlung und Figuren, ist die Analogie, die durch die Table-Top-Versionen von Forced Entertainment gegeben ist, definitiv nicht völlig aus der Luft gegriffen, sondern ein interessanter Ansatz uns das nicht nur, um aus der Not eine Tugend zu machen. Darüberhinaus kann dieses Konzept ein guter Zugang zu den Werken sein, die ja ohnehin nicht als Lesedramen angelegt sind, sondern die Visualisierung brauchen, um ihre Wirkung entfalten zu können. Forced Entertainment sind bei Weitem nicht die ersten, die ein solches Konzept plotbasiertem Nacherzählens eines Dramas mit minimaler puppenspielartiger Visualisierung realisieren, können mit ihrem „Table Top Shakespeare“, vor allem in der „At home“-Version einen wichtigen Beitrag zur weltliterarischen Bildung leisten, war es noch nie so einfach, den „ganzen Shakespeare“ zu sich nach Hause kommen zu lassen, sei es nun zum gemeinsamen Reminiszieren oder zum erstmaligen Kennenlernen der Geschichten.


Weitere Informationen:

Complete Works: Table Top Shakespeare in der At Home-Edition

konzipiert und entwickelt von Forced Entertainment

über PACT Zollverein Spielzeit 2020/21


Kommentare: 0