Anfang und Ende - B.A.C.H.61 am Staatstheater Kassel Kritik

Ein szenischer gottesdienst zwischen himmel und erde


 Symbolbild (c) pixabay/scholacantorum
Symbolbild (c) pixabay/scholacantorum

Eigentlich sind die Bachkantaten für die Aufführung im Gottesdienst bestimmt, zumindest die Geistlichen. Aber auch die weltlichen Kantaten, komponiert für festliche gesellschaftliche Anlässe, sind für eine konzertante Darbietung vorgesehen.

Ein Orchester, Solisten, ein Chor, ein Kirchenraum (oder Festsaal) - Fertig.

Zur Spielzeit 2018/19 wagt das Staatstheater Kassel ein Experiment und holt die Bachkantaten auf die Opernbühne. In Form einer szenischen Inszenierung werden sechs der über 200 Kantaten Johann Sebastian Bachs (187, 52, 26, 27, 146, 172) in Form einer szenischen Reise inszeniert. Da es sich dabei ausschließlich um Kirchen-Kantaten handelt, geht diese Reise von der irdischen Welt in die verheißungsvolle Göttliche. Dramaturgisch und musikalisch-ästhetisch „vom Dunkel ins Licht“, vom Leben in den Tod oder eben von Anfang bis Ende, analog zum Titel der Produktion „Anfang und Ende – B.a.c.h. 61“

 Inszeniert hat sie die in Chile geborene Regisseurin und Choreografin Aniara Amos, die auch für das Bühnenbild verantwortlich ist. 61 ist dabei die gebildete Quersumme der ausgewählten Kantaten-Nummern nach dem Bach-Werk-Verzeichnis, denn Bachs Musik ist nicht nur „logisch“, sondern höchst mathematikaffin.

 

Inszenierung

 

Die eine Stunde und zwanzig Minute andauernde szenische Reise beginnt mit einem einzelnen Mann der, gekleidet in einen weißen Overall auf den blaue und weiße Adern und ein anatomisch annähernd korrektes Herz um Brustbereich gemalt sind, an sich herunter schaut. Eine weitere Figur, diesmal eine Frau, erscheint von links und interagiert mit dem Mann, sie trägt das selbe Kostüm. Nach und nach kommen immer mehr solcher Figuren auf die Bühne, reagieren auf einander, bewegen sich langsam fließend, wie Roboter, aber nicht eckig, parallel dazu bildet sich im Hintergrund auf einer Projektionswand immer mehr Nebel, der später als Wasserfall erkennbar sein wird (Animation und Videorealisation: Thomas Zipf). Musikalisch untermalt wird diese Choreografie von der instrumentalen Sinfonia der Kantate BMV 52 („Falsche Welt, dir trau ich nicht“). Und genau das passiert hier und wurde eins zu eins szenisch konkret wie ästhetisch-symbolisch übersetzt: Nachdem die Solistenfigur feststellt „Der beste Freund ist ungetreu, o jämmerlicher Stand“ bewegt sich der Chor wie Zombies und treibt sie in die Ecke. Durch ihren Glauben („Gott ist getreu“) schafft sie es aber einen nach dem anderen auszuknocken, bis vier kommt sie, dann fallen die anderen von selbst um. Alle erheben sich und verkünden singend: „In dich hab ich gehoffet, Herr...“

 In der nächsten Szene treiben Uhren den projizierten Wasserfall hinunter und die szenische Realisation von Kantate BMV 26 beginnt („Ach wie flüchtig, ach wie nichtig“). Vergänglichkeit als eines der Themen des Barock, entstanden die Kanteten doch fast alle während der 1720er. Barocke Allegorien wörtlich umgesetzt: „So schnell ein rauschend Wasser schießt.“ Ein jeder verlässt die Bühne, wenn seine Zeit gekommen ist.

Nach einer leeren Bühne treten die Figuren wieder nach und nach auf, ihnen voran ein grotesk Kistenförmiger. Die anderen tragen gebückt Stühle und Hocker, auf die sie sich mühsam setzen, aus dem Orchestergraben ertönt gleichmäßig das Bach’sche Metrum.

Für die Figuren wird aus Freude Traurigkeit, ein typisch belehrender protestantischer Ansatz, darstellerisch deutlich gemacht. Die Kantate Nr. 26 bewegt sich ihrem Höhepunkt zu. Bei „an irdischen Schätzen zu

Hängen“ fährt hinten der Decker hoch und ein rot Beleuchteter, der an den Teufel erinnert, wird sichtbar, der ein paar Mal mit einem Riesentaktstock wie ein Kapellmeister auf den Boden klopft – und treiben da zur gleichen Zeit Bildschirme den Wasserfall herunter? Fernseher, Computer, Smartphones...?!

Jedenfalls holen sich die Figuren diese irdischen Schätze mittels Pflückbewegungen vom Wasserfall und betrachten andächtig das Licht in ihren hohlen Händen.

Die nächste Kantate KMV 27 (Wer weiß, wie nahe mir ein Ende?) befasst sich barocktypisch mit Vanitas und Momento Mori. Für die Figuren ist es nun Zeit zum Sterben und nacheinander geht bei jeder das Licht aus, indem die Taschenlampen, mit denen sie ihre Gesichter beleuchten, nach und nach ausgehen. Wieder gehen sie nacheinander ab und stellen sich rechts hinter den Gazevorhang, und sind dann soetwas wie Geister. Zur Zeile „Machs nur mit meinen Ende gut“ geht dann wieder eine Lampe nach der anderen aus, während im hinteren Bühnenraum blaues Licht erstrahlt.

Vorn auf der Bühne warten die Figuren neben den Stühlen kauernd auf den Tod („Willkommen will ich sagen wenn der Tod ans Bette tritt). Was soll man auch anderes machen und dennoch ist der Todeskampf wie der Name schon sagt, immer noch ein Kampf. So schlägt nach dem ruhigen Chorsatz plötzlich ein Blitz ein, alles ist hell, der Donner kracht bis in den Zuschauerraum und während im Hintergrund rote und blaue Lichter flackern, fließen große Münzen mit dem vitruvianischen Menschen von Da Vinci und pinkes Licht den Wasserfall herunter. Der Chor tritt wieder auf, natürlich nacheinander und geht in Kampfpose. Vor einem rot angestrahlten Wasserfall gehen die Figuren mit den Stühlen zur Kantate KMV 146 aufeinander los, ziehen den Kreis enger, bis sie alle am Boden liegen („Wir müssen durch viel Trübsal in das Reich Gottes eingehen“). Als die Orgel ertönt kommt Leben in die Iszenierung („Wie will ich mich freuen“) und die Figuren tanzen im Plié mit Armeschwenken. Als sie sich in Halbkreis hinten in eine Stuhlreihe setzen, küssen sich vorn zwei der Solisten. Bei „Freu dich sehr, o meine Seele“ halten die sitzenden Figuren sich bei Singen die Augen zu und sind von der Solistin nicht mehr zum Bewegen zu motivieren. Als dann die Trompeten  für die „Heiligste Dreifaltigkeit“ erscheinen, geht bei der Kantate KMV 172 „Erschallet, ihr Lieder, erklinget, ihr Saiten!“ ein Rucken durch die Reihe und das „Seelenparadies“ scheint erreicht. In einer Kreuzformation stehen die Figuren im vorletzten Bild angeleuchtet von blauem Licht und sind bereit für den Himmel („Nimm mich freudig in deine Arme“). Im Schlussbild der Inszenierung geht es dann den Wasserfall hoch bis ein weißes Licht erstrahlt und Freude herrscht („Erschallet ihr Lieder“).

 

Fazit

 

Wie auch Bachs barocke Musik ist diese Inszenierung eins auf jeden Fall: logisch. Die Dramaturgie hat Hand und Fuß, die Geschichte die erzählt wird, lässt keine Fragen offen, irritiert nicht und stößt auch nicht sauer auf. Sie erzählt praktisch wörtlich umgesetzt die sechs in Teilen ausgewählten Kantaten und die sich daraus ergebende Handlung. Es ist nicht uninteressant, den Geschöpfen Gottes, deren Kostümierung ( Kostüme: Sarah Julia Rolke)sich irgendwo zwischen Körperwelten und sterilem Reinraumanzug befindet, dabei zuzusehen, wie sie exakt choreografierte, aber auch recht allgemeine Gesten und Bewegungen vollziehen, die in den Kantaten thematisierten Konzepte und Motive zwar umsetzen, aber nicht kommentieren oder interpretieren. Die Emblematik, so verständlich sie auch ist, ist dann auch schnell abgenutzt und selbst die dramatischeren Stellen plätschern dahin wie der projizierte Wasserfall (Animation und Videorealisation: Thomas Zipf). Da die Musik die Geschichte schon emotional wie klar erzählt und gar keine szenische Interpretation brauchte um zu berühren, wirken die exakten Spiegellungen dieser musikalischen Handlung schnell ästhetisch überfrachtend und bisweilen sogar theologisch belehrend. Bachs protestantischer Barock ist, wenn überhaupt, subtil verschnörkelt, nicht plakativ überladen. Am Cembalo und mit zwei Theorben arbeitet Jörg Halubek einen passenden nicht zu überladenen Klang heraus, für den das Orchester am Ende mehrere Applausrunden bekommt. Von den Solisten kristallisiert sich besonders Daniel Holzhauser bei seinen Arien und auch im Ensemblegesang als guter Kantatensänger heraus.

Die Kantaten sprechen auch ohne szenische Dramatisierung. Die Inszenierung passt und ist zumindest in dieser Länge nicht uninteressant, ist gut durchdacht und stört trotz ihrer Sterilität und beinahe wissenschaftlichen Akkuratheit und Nähe zum Gottesdienst nicht, würde aber ohne die Musik nicht berühren. Wohl genau wie auch ein Gottesdienst, den Rahmen, für die Kantaten eigentlich gedacht sind.



Anfang und Ende - B.A.C.H. 61

Eine szenische Reise mit Kirchen-Kantaten von Johann Sebastian Bach

am Staatstheater Kassel Spielzeit 2018/19

besuchte Aufführung: 22. März 2019

weitere Vorführungen : 03.05.2019 / 12.05.2019

Spielort: Opernhaus.

Weitere Informationen hier.


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