Als im Jahr 2020 bedingt durch einen nahezu weltweiten Lockdown, der eine Reaktion auf die Corona-Pandemie gewesen ist, die Anwesenheit physischer Körper im öffentlichen Raum nicht länger gewünscht war, und sich demzufolge auch Theaterproduzent und Rezipient nicht physisch im selben Raum aufhalten durften, blieb nur noch der virtuelle Raum als möglicher Bühnenraum, der ausgelotet und erobert werden musste, um weiterhin Produktionen realisieren und Aufführungen durchführen zu können. Jedoch sind Spielräume im Digitalen anders beschaffen und auch die Auseinandersetzung mit dem physischen Körper ist eine andere als mit dem Virtuellen. Wenn sich aber die künstlerisch-ästhetische Schnittstelle vom Körper auf der Bühne hin zum Körper im digitalen Raum verschiebt, dann entstehen nicht nur ganz und gar praktische Probleme, die von den Tücken eines Medienwechsels bis hin zu ungeeigneten Bühnenräumen über Fluch und Segen der Technik bis hin zur beinahe Unmöglichkeit von zeitlichem geschweige denn räumlichem Zusammenspiel und der dafür benötigten Kommunikation reichen, sondern auch den Elefanten im Raum - ob Online-Theater überhaupt funktionieren kann - und darüber hinaus, ob es dann überhaupt noch Theater ist, wenn alles gefilmt wurde, auch wenn es ein Live-Stream ist, um den es sich bei einem Video handelt.
Anhand vier Beispiele (und einem Bonus) solcher "kriseninspirierter Produktionen" aufgeführt von und über deutsche Spielstätten und Bühnen, die alle unterschiedliche Ausrichtungen in Bezug auf ihre Programme haben, liegen auch den Produktionen unterschiedliche performative Konzepte zugrunde und sie bedienen sich verschiedener Darstellungsformen. Jede Produktion versucht das Problem auf ihre Art zu lösen und liefert so Erkenntnisse, die bei der langfristigen Realisation eines Digitalen Theaters helfen können. Am Ende aber muss der Zuschauer, dessen Rolle in Anbetracht der aktuellen Aufführungssituation und einem eventuellen Abschied vom physischen Spielraum noch einmal von einer ganz anderen Seite gesehen werden muss, letztendlich entscheiden, ob das virtuelle Theater (auf lange Sicht hin) ein Gewinn oder ein Scheitern für die Kunstform Theater ist (die transitorisch ist wie keine andere) und am Ende mehr sein kann, als eine Zoom-Konferenz.
Ohne in seitenlange theaterwissenschaftliche und theatertheoretische Diskurse à la Lessing, Jelinek oder Fischer-Lichte abzudriften lässt sich Theater über folgende zwei Aussagen definieren:
„A verkörpert B, während C zuschaut“ und „Das Performative ist transitorisch“.Eine Aufführung ist immer vergänglich. Sie findet einmalig und in einem bestimmten Zeitraum vor einer bestimmten Zahl von Menschen statt, wobei sich Zuschauende und Ausführende körperlich im selben Raum befinden müssen und das zur selben Zeit (was auch einen gewissen Grad an gegenseitiger Wahrnehmung mit sich bringt). Wenn also Transzendenz und eine Gleichzeitigkeit bzw. Übereinstimmung von Zeit und Raum gegeben sind, dann sind die Kriterien für diese Kunst bzw. Darstellungsform gegeben und man kann laut Definition von Theater sprechen.
Egal, ob es sich bei einer Aufführung um ein modernes Performance-Stück oder eine werktreue Klassikerinszenierung handelt, immer ist es so, dass der Zuschauer zur Aufführung kommen muss, die in einem für sie geeigneten Raum stattfindet, der ihren (technisch) reibungslosen Ablauf gewährleistet.
Der Lockdown als Reaktion auf die Corona-Pandemie hat dazu geführt, dass Rezipient und Produzent sich nicht mehr länger physisch im selben Raum aufhalten dürfen ( ich gehe jetzt nicht auf die Lockerungen in Form von reduzierten Zuschauerzahlen und Abstand zueinander auf und vor der Bühne ein, sondern auf die Situation nicht länger bespielter Bühnenräume und das Internet als einzig erlaubten Raum des (künstlerischen) Austauschs als Status Quo) und sich den virtuellen Raum als alternativen Bühnenraum erobern müssen. Da dieser virtuelle Raum aber abstrakt ist und am Ende oft eine Videoübertragung aus Privaträumen heraus bedeutet, entsteht das Problem ungeeigneter (Bühnen-)Räume, das Hand in Hand geht mit unzureichender Technik und Ausstattung.
Bei der Übertragung von der (Theater-)Bühne hin in die virtuelle Welt in Form des Videos vollzieht sich ein Medienwechsel, der bei Weitem nicht mit jedem Inszenierungskonzept kompatibel ist. Dann passt der Inhalt nicht länger in die Form, weil er nie für diese konzipiert wurde, wenn er dieser nicht angepasst wird.
Des Weiteren wird bei einer Aufführung im virtuellen Raum das Zusammenspiel erschwert, wenn die Körper sich nicht alle physischen im selben Raum befinden. Kommunikation sowie Aktion und Reaktion sind gestört, wenn die agierenden Körper sich nicht untereinander spüren. Außerdem vermischen sich Ebenen, auch bedingt durch die Störungen des Wohnraums. In „Die drei Musketiere bleiben zuhause“ werden all diese Probleme beispielhaft deutlich und zeugen von der Sinnlosigkeit Theater, wie wir es kennen, einfach so ins Home-Office zu verlegen. Für Gamer und Youtuber ist der Live(-Stream) als Unterhaltungsform die Norm, jedoch kann ein Schauspieler allein daheim nicht den benötigten technischen Aufwand leisten, für den es ansonsten den kompletten Stab der Live-Übertragung eines Fernsehspiels braucht, um die Aufführung „vernünftig“ an den Zuschauer zu bringen. Da ist dann die Technik durchaus mehr Fluch als Segen.
Doch kann „aus der Not eine Tugend machen“ kein dauerhaftes Motto sein, unter dem Theater in den virtuellen Raum verlegt wird. Die Produktionen, die sich das vorgenommen haben, bezeichnen sich allesamt als „kriseninspiriert“ und das in jeder Hinsicht. Zwischen Zoom-Konferenz, foucault‘schem Panoptikum und Youtuber wider Willen wird ausgelotet, was funktioniert und was nicht aber auch was Sehnsucht erzeugt und was nicht. Wie kommt das Theater seiner Aufgabe als Spiegel einer Gesellschaft nach, die müde wird von Pandemiespielen, wenn Corona auch sein einziges Sujet ist. Wo setzt es den Spiegel an, was kann und soll er abbilden, welche Analogien setzen, welche Fragen stellen, welche Kritik wie äußern.Wieviel Interaktion verträgt die Illusion?
Das sind neben den Praktischen (funktioniert Online-Theater?) sind es vor allen die abstrakten und metatheoretischen ( und ist es dann noch Theater...) Erkenntnisse, die beim Experiment „Virtuelles Theater“ gewonnen werden. Es ist eine Folie, auf der Diskurse über den Sinn und die Notwenigkeit von Theater geführt werden (können).
Wenn alternative Bühnen und Spielräume gefunden werden müssen, weil die Verschiebung von analog zu digital als alternativlos definiert wurde oder zumindest (temporär) erscheint, müssen Theater und Unterhaltungsformen gefunden werden, die im digitalen Spielraum funktionieren, digitale Formen vermessen und neue Möglichkeiten ausgelotet werden. Der Fokus kann dabei von SCHAU hin zu SPIEL verschoben werden, genauso wie sich die künstlerisch-ästhetische Schnittstelle vom Körper auf der Bühne hin zum Körper im digitalen Raum verschiebt, wie das Game-Theater als eine der erfolgreicheren virtuellen Theaterformen demonstriert. Mit Elementen von Tabletop, Rollenspiel, Schnitzeljagd und Chat und einer gezielten Nutzung der digitalen Technologien dienen diese interaktiven Formen als Schnittstelle von Theater und Computerspiel eher eine Lösung des Problems, auch wenn sie natürlich nicht für jeden eine Alternative zum Theaterbesuch sind.
Des Weiteren sind es kunstformen- und spartenübergreifende Mischformen, die in Aussicht stehen, dem Zuschauer einen Abend lang daheim zu unterhalten. Das Ergebnis solcher Beiträge sind meist Kurzfilme, die über Streamingportale angeboten werden.
Eine weitere Möglichkeit ist eine Rückkehr zu den Wurzeln des Theaters, zur Einfachheit des mündlichen (Nach-)Erzählens eines Plots, also Geschichte statt Spiel, wie die es die Kompanie Forced Entertainment mit ihrem Table-Top-Shakespeare demonstriert und damit sogar einen informativen wenn nicht gar pädagogischen Ansatz hat. Einfachheit bedeutet nicht nur in diesem Fall auch vereinfachten Zugang, denn das Verabschieden vom Gedanken des physischen Spielraums - selbst wenn auch nur temporär - ermöglicht einen breiteren und oft sogar kostenlosen Zugang zu Aufführungen überall auf der Welt, die virtuell zur Verfügung gestellt werden, und die so weitaus mehr Rezipienten zur Verfügung gestellt werden können, als normalerweise üblich. Als Aufzeichnungen sind diese Inszenierungen aufgrund der fehlenden Deckungsgleichheit von Zeit und Raum zwar keinesfalls Theateraufführungen im eigentlichen transitorischen Sinne, aber ein Stream, der nicht konstant zur Verfügung steht, sondern nur für die Dauer der Aufführung, hat zumindest etwas begrenzt Transzendentes.
Darüber hinaus .....
Das deutschsprachige unabhängige und überregionale Internetportal für Theaterkritik und Theaterberichterstattug,
nachtkritik.de, bietet einen Online-Spielplan an, der einen Überblick gibt über aktuelle virtuelle Theaterproduktionen und Streams von aktuellen und vergangegen Aufführungen. Über die Kommentarfunktion gibt es außerdem die Möglichkeit, selbst Vorschläge zu machen und auf Ergänzungen hinzuweisen. Unter der Überschrift "Von der Homapage zur Home-Stage" werden seperat Projekte von Theatern und Freien Gruppen oder Künstlern/Kollektiven und Sonstigen aufgeführt.
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